Experten-Probefahrt: Tyn-e, der E-Transporterzwerg
Tür auf, rechter Fuß unter die Pedale, Knie am Lenkrad vorbei, dann seitlich hineinschieben, Kopf einziehen, das linke Bein nachholen und den linken Fuß neben dem Radkasten einfädeln. Kurz kommt der Wunsch nach einem Schuhanzieher auf. Wer an die zwei Meter misst und mit Schuhgröße 47 ausgestattet ist, tut sich beim Entern des E-Transporterzwergs namens Tyn-e anfangs ein wenig schwer. Schemenhaft tauchen Erinnerungen an japanische Mikro-Transporter der achtziger Jahre auf. Putzig sieht der 3,45 Meter kurze Kastenwagen mit der Zusatzbezeichnung TX1-2 aus, er schaut mit seinen großen kugelrunden Augen vor dem gedrungenen blechernen Karosseriekörper staunend in die Autowelt.
Leinen los – hier hinten links das Ladekabel – schon schnurrt der Kleine davon. Beschleunigt überraschend flott auf Stadttempo, obwohl noch mit 72-Volt-Anlage und einem kleinen E-Motörchen mit Maximalleistung von lediglich 15 kW ausgerüstet. Es treibt wie bei den richtig Großen die Hinterräder an. Die Serienmodelle ab Sommer fahren dann mit 320 Volt und auf 30 kW verdoppelter Leistung. Bei gut 70 Sachen ist Schluss, dies wird sich auch mit der neuen Maschine nur geringfügig ändern. Aber am Berg werden den Tyn-e die Kräfte erst später verlassen, jetzt wirkt er an Steigungen doch schnell ermattet. Selbst nach Druck auf die rot markierte „Sport“-Taste für volle Leistung. Was man so Sport nennt, erinnert doch eher an Minigolf.
Somit ist klar, hier ist ein Stadtindianer unterwegs, der sich flüsterleise anschleicht und mit nur anderthalb Meter Breite dort hineinfährt, wo andere draußen bleiben müssen. Das passt auch zum überschaubaren Stromvorrat von jetzt 20,7 und künftig 17,8 kWh. Etwa 130 Kilometer soll der Tyn-e damit schaffen. Eberhard-Wizgall, als Geschäftsführer von Tyn-e zuständig für die Technik: „Realistisch ist ein tägliches Einsatzgebiet von 50 bis 80 Kilometern.“ Geladen wird bisher an der Steckdose, künftig auch an der Wallbox. Und mal ehrlich, längere Strecken mit höherem Tempo will man in dem kleinen Blechzwerg ohne Airbags und ESP auch nicht unbedingt zurücklegen. Das ist erlaubt, weil der Tyn-e als N1-Kleinserienmodell zugelassen ist. Das funktioniert bis zu einer Auflage von 1500 Stück und Typ in der EU.
Wer mit dem Tyn-e durch die Stadt hoppelt, gewinnt bei nahezu jedem Halt neue Freunde. Der Gesprächsbedarf ist groß, die Sympathie riesig. Womit sich der Lastenzwerg mit der passenden Beschriftung als prima Marketingprojekt entpuppt. Und gleichzeitig als Anpacker, der Tyn-e ist viel mehr als nur niedlich. Schleppt er doch eine halbe Tonne Nutzlast in seinem kistenförmigen Laderaum. Geladen wird durch eine Seitentür mit 690 Millimeter Breite oder eine Hecktür, unten im schmaleren Bereich 935 Millimeter schlank. Auf eine aufwendige Schiebetür oder eine Doppelflügeltür hinten verzichtet der E-Transporterzwerg, ebenso auf Feinheiten wie innenliegende Türscharniere.
Das Frachtabteil misst rund 1620 x 1265 x 1125 Millimeter, woraus Tyn-e arg optimistisch ein Volumen von 2,6 Kubikmetern errechnet. In der Realität sind’s, auch die Radkästen in Rechnung gestellt, eher zwei Kubikmeter. Damit reiht sich der Tyn-e ebenso wie mit seiner Nutzlast am unteren Rand klassischer E-Lieferwagen ein. Fällt aber mit lediglich 3,45 Meter Länge rund einen Meter kürzer aus und dreht mit nur neun Meter Wendekreis fast auf der Hinterhand. Auch liegt sein Grundpreis mit netto 19 990 Euro etwa ein Drittel niedriger.
Weiter vorn erinnert das Fahrerhaus eher an ein Häuschen, Tyne-Haus auf Rädern sozusagen. Der Tyn-e spannt wie ein körpernahes Hemd nach einem Festtagsmahl, passt aber. Und macht einen aufgeräumten Eindruck. Da wären einfache aber ordentliche Materialien, mehrere offene Ablagen und Steckdosen, ein digitales Instrumententäfelchen mit etwas mickrigen Anzeigen – ist alles beim edlen VW ID. Buzz Cargo auch nicht größer – und simple Bedienelemente. Klassischer Zündschlüssel, mechanisch betätigte Handbremse, Drehregler D-N-R für die Fahrtrichtung, Einarm-Scheibenwischer, Rückfahrkamera, große Außenspiegel und elektrische Fensterheber, alles drin und dran. Ja, auch Heizung und Klimaanlage, alles vor ein paar Jahren für einfache E-Mobile nicht selbstverständlich.
Exakt 6000 Euro netto mehr muss anlegen, wer den Tyn-e als Pritschenwagen namens TX2-P erwerben will. Er streckt sich dann um einen knappen Meter auf 4400 Millimeter. Die Ladefläche fällt mit 2360 x 1490 Millimetern schon recht üppig aus, ebenso die Zuladung von gut einer dreiviertel Tonne. Ein Fall für Bau- und Baunebenbetriebe, Gartenbauer und angrenzende Gewerke – ein fleißiger Gartenzwerg. Wettbewerber sind links und rechts nicht zu sehen. Das betrifft auch den angekündigten Koffer TX2-B mit rund vier Kubikmeter Volumen und etwa 700 Kilo Nutzlast. Und wenn dies immer noch nicht genügt, wäre da der Tyn-e TX7 als Pritsche und Koffer. Mit ihm wächst das zulässige Gesamtgewicht auf 2,4 Tonnen und der Koffer auf üppige 5,7 Kubikmeter Volumen.
Zurück in die Firmenzentrale von Tyn-e, angesiedelt in Waiblingen nahe Stuttgart. Im Schauraum warnt gerade ein gelbes Schild: „Achtung Rutschgefahr“. Es steht sinnbildlich für so manche gescheiterte Neugründung im Bereich der Elektromobilität. Nicht jedes Start-up ist ein Tesla und krempelt die Autowelt um. Markus Graf, ebenfalls Geschäftsführer von Tyn-e, distanziert sich prompt: „Wir sind kein Start-up.“ Und legt Wert auf solide schwäbische Unternehmen hinter der Marke: Weber Mobility als Tochter eines Automobilzulieferers und ShareX Mobility als Tochter eines Zeitungsverlags. Der Eine suchte einen Weg zur Transformation weg vom Verbrenner, der Andere fahndete nach einem günstigen E-Zustellfahrzeug. Das Ergebnis heißt Tyn-e, gefertigt in China von einem Betrieb mit dem spannenden Namen „Shandong Horche Intelligent Automobile“. Verfeinert durch deutsche Ingenieure findet der E-Transporterzwerg nun den Weg nach Deutschland und Europa.