Experten-Test: Iveco eDaily 42 S 14 E
Da ist sie wieder, die altbekannte Frage von der Wurst- und Käsetheke: Darf’s ein wenig mehr sein? Na klar. Gut sieben Meter Länge, 4,25 Tonnen zulässige Gesamtmasse, 140 kW Leistung aus einem Zentralmotor im Leiterrahmen, nutzbare Batteriekapazität 105 kWh – ein Iveco eDaily im XL-Format. Der wirkt im Ladepark neben den kleinen Stromern rundum wie ein mächtiger Hirtenhund mit einem Zwergpinscher. Noch Fragen?
Aber sicher, deshalb steht und fährt hier der Testwagen. Ohne E-Kennzeichen, aber unübersehbar foliert. Noch vom vergangenen Modelljahr, aber das sieht man ihm kaum an, nur drinnen an den Instrumenten, Monitoren, Ablagen. Egal, der Antrieb ist unverändert. Er ist eine weitere Besonderheit des eDaily, der schon mit seiner Chassis-Bauweise unter den Kastenwagen im Wortsinn aus dem Rahmen fällt. Hat sich’s Iveco einfach gemacht, fehlt ein passendes Aggregat, ist’s ein Geniestreich? Jedenfalls ist unter Transporterbrüdern die Lösung eines Zentralmotors mitsamt einstufigem Übersetzungsgetriebe zwischen den Längsträgern plus klassischer Hypoid-Antriebsachse aus der Serie einmalig. Ebenso die Batterien, gibt Iveco doch rekordverdächtige 95 Prozent der Nennkapazität zur Nutzung frei. Abgesichert von einer Garantie über 250 000 Kilometer auf 80 Prozent der Kapazität. Und beim Zentralantrieb geht Iveco von einer Lebensdauer von mindestens 350 000 Kilometern aus.
Dies zur Theorie. Und die Praxis? Da nuckelt der eDaily an der Schnellladesäule eher gemächlich mit 80 kWh – andere saugen fixer. Dafür fährt er weiter. Als schwerer Transporter-Brocken abgeregelt auf 90 km/h, liegt sein Testverbrauch im Realbetrieb weit unter der sehr pessimistischen Iveco-Angabe von 36,5 kWh für den WLTP-Mix. Ins Heck hatte Iveco dem Testwagen eine Holzkiste mit 400 Kilo Gewicht gepackt. Dazu bunkerte die Redaktion beim freundlichen Baustoffhändler noch zwölf Sack Fliesenkleber à 25 Kilo. Macht zusammen mit Tester, Zurrgurten und dem üblichen Kleinkram an Bord knapp 4,25 Tonnen.
So befrachtet, begnügte sich der eDaily auf der Kurzstrecke mit lediglich 21,8 kWh/100 km. Auf anspruchsvoller Überlandstrecke sind rund 25 kWh fällig. Und auf der Autobahn abermals 25 kWh bei zähem Verkehr und 28 kWh bei flotter Fahrt. Macht im Schnitt 25,6 kWh – sehr respektabel für den großen Brocken.
Unterwegs blieben die zahlreichen Regelmöglichkeiten weitgehend unbeachtet. Bei Zündung ein stellt der Iveco eDaily den Fahrmodus auf eine mittlere Stufe – in der Taste blau gekennzeichnet, 115 kW Leistung. Ebenso die recht kräftige Rekuperation in Mittelposition. Das passt selbst voll beladen für fast alle Lebenslagen. Der eDaily nimmt in dieser Einstellung gelassen Fahrt auf. Er fährt nicht an, er legt ab.
Wird an deftigen Steigungen die Vollfettstufe nötig, genügt nicht wie anderswo der Kickdown, hier muss der Fahrmodus in Powerstellung (rot) gebracht werden. Zwei Minuten am Stück steht dann die volle Leistung von 140 kW zur Verfügung. Und zwei Minuten sind ganz schön lang. Auch in der grünen Eco-Position mit 90 kW Leistung ist der eDaily halbwegs zügig unterwegs, nur eben nicht bergauf. Als Alternative für die Rekuperation gibt es einen One-Pedal- und einen Segelmodus – Geschmackssache. Und hübsch markiert, mit einem stilisierten Segelboot und der Unterzeile „Sailing“. Beim nächsten Stopp stellt der schlaue eDaily dann wieder alles in den mittleren Bereich.
Elektromobilität aber ist mehr als jonglieren mit Leistung und Rekuperation, es geht auch handfest zu. Unter dem Iveco eDaily verringern die Batterien plus Schutzkufen links und rechts die Bodenfreiheit und damit auch den Rampenwinkel. Das kann vor allem beim größten Radstand zu Schürfwunden führen. Mit drei Batteriepaketen unter dem Bauch rollt der große eDaily allemal rund 300 oder mehr Kilometer weit, eine feine Sache. Indes wiegt so ein Akkupack etwa 260 Kilo und schränkt die Nutzlast ein. Beim Testwagen belief sie sich einschließlich einiger Extras auf nicht mal eine Tonne. Für einen Kastenwagen dieser Gewichtsklasse mit einer wahren Ladehalle von angeblich 16 Kubikmetern sehr überschaubar. Da hilft es nur begrenzt, dass der eDaily erstaunliche 3,5 Tonnen ziehen darf.
Vielleicht doch lieber mit nur zwei Batterien kürzer fahren und häufiger laden? Einsatzsache. Und eine Preisfrage, zu der sich Iveco beharrlich ausschweigt. Ein Blick über den Zaun könnte helfen: Die Listenpreise vergleichbarer Wettbewerber liegen etwa zwischen netto 56 000 und 63 000 Euro. In dieser Region sollte sich auch der eDaily einordnen.
Und sonst so, was macht der Straßenzustandsbericht? Das Fahrwerk profitiert leer von den gewichtigen Batteriepaketen, wirkt mit zunehmender Beladung eher strammer. Die 16-Zoll-Räder sehen in den großen Radhäusern etwas mickrig aus, plumpsen in Schlaglöcher. Die Vorderachse – hier die Variante mit Querblattfeder – reagiert empfindlich auf kurze Bodenwellen, tanzt darauf ein wenig Rock’n‘Roll. Die elektrisch unterstützte Lenkung arbeitet recht gefühllos, dabei recht stramm. Auf Knopfdruck agiert sie in der sogenannten Cityfunktion leichtgängig, gut im Stadtverkehr und beim Rangieren. Dabei entpuppt sich der Lange ohnehin als verblüffend wendig, Vorteil Hinterradantrieb.
Die Bedienung ist recht simpel, zumal auch die Klimatisierung klassisch-simpel per Drehregler eingestellt wird. Perfekt, wenn jetzt noch die darin integrierten Anzeigen gut ablesbar wären. Bordrechner und Display vermitteln auf Wunsch reichlich Informationen, sogar die Werte für Energieverbrauch und Rekuperation lassen sich gegenüberstellen. Indes tauchen im Display ab und zu eigenwillige Hinweise auf – „zulässiges Gesamtgewicht nicht verfügbar“ oder „Beschickungstür offen“ für die Ladeklappe vorn.
Dann wären da bequeme Sitze und reichlich Platz einer recht wohnlich eingerichteten Kabine mit verkleideter Rückwand. Der Arbeitsplatz ist hoch angesiedelt, der eDaily bietet bereits einen Hauch von Trucker-Gefühl. Lasterhaft ist ebenso seine typische Bauweise mit Leiterrahmen. Die Karosserie obendrauf neigt zu einem gewissen Eigenleben. Speziell bei kurzen Fahrbahnstößen schüttelt sie sich ungnädig und bebt aufgeregt, typisch Daily und damit auch eDaily.
Nun aber ran an die nächste Ladestation, Strom bunkern. Da stößt der Iveco eDaily im Testformat mit seinen Abmessungen mitunter an Grenzen, wirkt wie ein Elefant im Porzellan- oder hier Stromladen. Dann ist ganz klassisch Rangierkunst gefragt, mäßig unterstützt von den arg pessimistischen Hilfslinien der Rückfahrkamera. So ist das, wenn’s ein wenig mehr sein darf.
Und hier sind die Infos zum neuen Modelljahr:
Alles über den Iveco Daily 2024: rundum aufgewertet
Außerdem vergrößert Iveco demnächst sein Transporter-Angebot:
Iveco und Hyundai ST1: spektakulärer neuer Kompakt-Transporter






