Experten-Test: MAN TGE mit Meiller-Kipper
Hier trifft Oberklasse auf Oberklasse, Premium auf Premium. Der MAN TGE zählt zu den gediegenen Transportern, ein Meiller-Kipper zur Spitze der Baustellenfahrzeuge. Das sollte gemeinsam bestens funktionieren. Nehmen wir also die Fuhre von vorne nach hinten unter die Lupe.
Mit rund 27 000 Einheiten hat der MAN TGE als Zwillingsbruder des VW Crafter jüngst ein Rekordjahr hingelegt. Was absolut gesehen überschaubar klingt, das ist für den Lkw-Hersteller ein voller Erfolg. Gibt es doch nicht an jeder zweiten Ecke einen Showroom. Dafür aber Kompetenz in Sachen Aufbauten und Service. Und eine gediegene Plattform. TGE, das bedeutet geräumiges Fahrerhaus, hochwertig ausgestattet und verarbeitet. Mit Haltegriffen zum Ein- und Aussteigen an den richtigen Positionen. Einem geradezu kuscheligen Sitz. Überzogen mit etwas schmutzempfindlichen und nicht perfekt passgenauen Bezügen. Aber mit dem unübersehbaren Löwen als Markenemblem auf den Kopfstützen.
Dann wäre da das neue, vielfältig konfigurierbare Kombi-Instrument mit glutroten Anzeigen bei Anstieg von Tempo und Drehzahl vor schwarzem Hintergrund. Die Ziffern vielleicht etwas klein, aber der Tacho reicht optimistisch-feurig bis 240 Sachen. Plus einem großflächigen neuen Monitor in der Mitte des Cockpits. In Optik und Bedienung auf aktuellem VW-Konzernniveau. Das heißt konfigurierbar mit einigen Direktwahltasten. Aber mit der für Kipper angesichts staubiger Baustellen wichtigen Umluftschaltung klappte es beim Testwagen nicht so recht, trotz Studium der dicken Betriebsanleitung – ja, so etwas gibt’s noch.
Hinzu kommen zeitgemäße Elemente wie schlüsselloser Start und elektronische Feststellbremse. Und, auch das kann nicht mehr jeder, ein Lenkrad mit richtigen Tasten, keine Touchflächen. Nach wie vor fehlen jedoch praktische Drehregler für die Lautstärke des Radios und die Klimatisierung – moderne Zeiten. Das trifft auch für die inzwischen vorgeschriebenen Assistenzsysteme zu, mal ein Segen, mal auch betriebsblind und mit ständigem Gebimmel ein Ärgernis. Wer meint, sie per Einstellung im Monitor auf Dauer domestizieren zu können, der irrt: Nach dem nächsten Motorstart sind sie in Geschwaderstärke wieder da.
Wie sympathisch berechenbar sind im Vergleich dazu Antrieb und Fahrwerk des TGE. Unter der Motorhaube steckt der bekannte Zweiliter-TDI von VW in Nutzfahrzeug-Ausführung, hier homologiert als Heavy Duty. Das bedeutet in Verbindung mit der großzügigen Basismotorisierung von 103 kW (140 PS) ein maximales Drehmoment von 360 Nm. Gut: Dank der VW-typisch drehfreudigen Maschine mit hoher Abregeldrehzahl von etwa 4800 Touren lässt sich der Kipper trotz kurz gestuftem Anfahrgang auch bei heiklen Missionen mit niedrigem Tempo schaltfrei souverän auf rutschigem Geläuf bewegen. Auch zeigt die Maschine im Bereich des maximalen Drehmoments Biss und Antrittsstärke. Jedoch knickt der Motor bei Tourenzahlen unter etwa 1500/min ein und reagiert nur noch lethargisch. Das bedeutet auf der Straße fleißiges Schalten des gut gestuften Sechsganggetriebes. Bei 100 Sachen dreht die Maschine transportertypisch rund 2000 Touren. Bei 135 km/h ist Schluss, für einen Kipper kein Handicap.
Entsprechend dem Einsatzgebiet entfiel bei der ausgiebigen Redaktions-Verbrauchsfahrt die Autobahnetappe. Mit einem Schnitt von 10,1 Liter/100 km schlug sich der beladene Kipper auf Kurz- und anspruchsvollen Überlandstrecken wacker. Vor allem angesichts der zwangsläufig mäßigen Aerodynamik des offenen Aufbaus, hier mit zusätzlichem Ablagegestell. Eine Probe ergab: Wer den Löwen wenig artgerecht in vollem Galopp über die Autobahn treibt, muss mit 14 Litern rechnen.
Als durchaus tempofest entpuppt sich das Fahrwerk des MAN. Mit seinem höheren Schwerpunkt als beim Kastenwagen ist der Kipper kein Kurvenstar, aber im Bedarfsfall auch mit einer gewichtigen Palette auf dem Buckel zügig und sicher unterwegs. Dabei benimmt er sich leer wie beladen überraschend komfortabel. Harsch reagiert das Fahrwerk trotz erhöhter Vorderachslast und Parabelfeder plus Stützblattfeder hinten nur auf üble kurze Bodenunebenheiten. Alles andere filtert der MAN souverän weg.
MAN bereitet den TGE sorgfältig auf den fordernden Einsatz als Kipper vor. Das bedeutet hier maximal 2,1 Tonnen Achslast vorne, dazu verstärkte Stabis, beides kann die Fuhre gut gebrauchen. Auch eine Anhängerkupplung passt, schließlich darf der TGE drei Tonnen ziehen. Doch Vorsicht, das zulässige Gesamtzuggewicht ist auf sechs Tonnen beschränkt. Nicht vergessen: Mit Vorderradantrieb zählt der TGE eher zur milden Sorte, ist nicht für harte Einsätze abseits der Straße gedacht.
Jene aber nimmt der Aufbau von Meiller nicht übel. Das Fabrikat ist bekannt für unverwüstliche Stabilbauweise. Aber daher auch für Gewicht. Deshalb hat Meiller seine Transporter-Kippbrücke auf Diät gesetzt und sich mit Trigenius D202 eine Baureihe speziell für 3,5-Tonner einfallen lassen. Ergebnis ist jedoch beileibe keine Hungerharke. Da wäre als Boden ein Stahlblech der Härte HBW 450 mit 1,5 Millimeter Stärke, nun verschweißt per Laser. Der Hilfsrahmen ist gelocht, wie der gesamte Unterbau der Kippbrücke. Alles spart Gewicht. Meiller nennt für den 3,4 Meter langen Aufbau des TGE exakt 582 Kilogramm, beachtliche 20 Prozent oder 148 kg weniger als der Vorgänger.
Leichtbau ist jedoch nicht alles für hart arbeitende Kipper. Die wuchtigen Bordwände sind im Rahmen der Operation um 50 auf 400 Millimeter gewachsen. Das erhöht zwar ihre Masse, aber auch das Ladevolumen. Alles ist per KTL grundiert gegen Rostfraß, das hat Automobilniveau. Aufmerksamkeit verdienen Details wie die einfach zu bedienenden Steckstifte. Oder die selbstnachstellenden Bordwandverschlüsse. Bereits deren Optik macht Hightech und Haltbarkeit deutlich. Kipper-Kenner schauen ebenfalls wohlwollend auf die Ladungssicherung. Da wären sechs Paar Zurrösen, bündig im Boden eingelassen à zwei Tonnen Haltekraft. Einfach per Latthammer aufzuklappen. Weitere sechs Paar à eine Tonne auf den seitlichen Bordwänden. Dazu jeweils zwei Ösen an Stirnwand, heckseitiger Bordwand und in den hinteren Ecken. Beim Testwagen kamen ein Ablagegestell und verstellbare seitliche Zurrschienen mit einer Spannstange hinzu. Überhaupt Zubehör: Der gelochte Hilfsrahmen vereinfacht die Montage von Extras, etwa dem Stahlblech-Staukasten des Testwagens mit dicht schließender Gummilippe.
Er trug seine Vorzüge auf der Kippbrücke zu Markte. Nur die dort angegebene Nutzlast von 950 Kilogramm verfehlte der rundum gut ausgestattete Test-TGE. Aber 880 Kilo inklusive Fahrer sind angesichts der stählernen Kippbrücke mit reichlich Zubehör und dem ebenfalls nicht ganz zart gebauten TGE auch ein Wort.
Also Ballast rauf, verzurren und später wieder runter damit. Fix die kräftig gebauten Bordwände auf- und zuklappen, seitlich stämmige gummierte Auflagen entdecken. Nach hinten kippen, dabei auch mal pendeln. Umstecken und die Ladefläche zur Seite neigen. Ganz simpel per Tastendruck vorn in der Kabine, dank einer zweiten Batterie mit genug Strom und begleitet von etwas Getöse im Heck – Kipper im Stress. Er steckt’s problemlos weg. So ist das, wenn Premium auf Premium trifft.
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