Leseprobe
Experten-Fahrbericht: der neue Mercedes eSprinter

von | 16. April 2024

Der neue Mercedes eSprinter: Außen alles wie gewohnt, unter dem Blech ein völlig neuer Antrieb. Experten-Fahrbericht.
Randolf Unruh

Außen alles wie gewohnt, doch unter dem Blech eine E-Volution.

Oben ist der Himmel sorgfältig blankgewienert und poliert, unten ebenso ein Rudel eSprinter. Frühjahrsputz bei Mercedes-Benz Vans. Schließlich geht es hier stets um Premium-Transporter, wie die Marke gerne betont. Dazu zählt seit vielen Jahren ohne Zweifel der Sprinter als Aushängeschild. Nicht unbedingt jedoch der bisherige Mercedes eSprinter mit Einheitskarosse, wenig Mumm und sehr knapper Batterie. Generell lahmen die E-Transporter zurzeit, auch eine Folge politischer Bocksprünge: Von 105.400 verkauften Mercedes-Vans im ersten Quartal 2024 hatten die Stromer einen Anteil von weniger als drei Prozent. Doch nun wird mit der neuen Generation des Stromers alles anders.

Randolf Unruh

Pkw-Lenkrad mit vielen Tasten, klassische Instrumente. Der angezeigte Verbrauch im gemischten Einsatz ist realistisch.

Neue Bedienung, neue Motoren, neue Varianten

Druck auf den Startknopf, des neuen Mercedes eSprinter, die blauen Nadeln der Instrumente schnellen kurz bis zum Anschlag. Die klassischen Armaturen verzichten auf digitale Spielereien, kein Manko, im Gegenteil. Die Speichen des Pkw-Lenkrads sind gut gefüllt mit mehr als einem Dutzend Tasten, das will gelernt sein. Funktioniert aber besser als beim bisherigen Bedien-Wirrwarr mit drücken, scrollen, wischen. Den schlanken D-N-R-Lenkstockhebel in Position gerückt, der Transporter ist bereit zum Ablegen.

Als Sprinter im Wortsinn entpuppt er sich dabei nicht. Zwar nimmt er im agilsten Fahrprogramm „Comfort“ dynamisch Fahrt auf. Aber überlegt, nicht mit überschäumendem Temperament. Das betrifft beide Motorvarianten mit 100 kW und 150 kW. Die stärkere Ausführung ist ein Fall für hohe Lasten, schwere Strecken, Anhängerbetrieb. Ansonsten genügt die Basismotorisierung vollauf, das Drehmoment von 400 Nm ist ohnehin identisch. Hier ist ein Kastenwagen in der kräftigen Ausführung als 3,5-Tonner unterwegs, ein Klassiker. Jetzt gibt es ihn – endlich – in mehreren wenn auch nicht allen Längen, dazu Fahrgestelle für Kipper, Koffer, was auch immer.

Sanftes Fahrwerk, Stromspartechnik und die Kommunikation via MBUX

Dass der große E-Transporter mit Stern leise fährt, ist keine Überraschung. Eher die gepflegte Art und Weise der Fortbewegung im Vergleich zu teils recht rustikalen Wettbewerbern. Mit einem Batteriepaket unter dem Boden und einer gewichtigen Ballastkiste obendrauf wiegt er sich flauschig in den Federn. Das zurückhaltende Temperament verleitet nicht zur Raserei. Die starre Hinterachse, veredelt als De-Dion-Ausführung mitsamt GfK-Federn, hält den Transporter sicher in der Spur. Der Fahrersitz hüllt den Wagenlenker fast samtig in Wohlbefinden ein. Klimaanlage und Wärmepumpe sowie heizbares Lenkrad (Extra) und temperierter Sitz sparen teils Strom, vermitteln zusammen Behaglichkeit. Und alles zusammen ergibt dieses typische Mercedes-Gefühl der ruhigen Insel im hektischen Verkehr.

Unter den zahlreichen Rekuperationsstufen, wie gehabt einstellbar über Lankradpaddel, findet jeder die passende Variante. Einschließlich „D-Auto“, dann wirken Radar, Kamerasystem und Navi abgestimmt auf die Verzögerung ein. Das funktioniert prima, kann höchstens bei zusätzlichem Einsatz der Fußbremse auf den letzten Metern zu einem minimalen Ruckeln führen. Neu für den eSprinter ist MBUX. Mit etwas überfrachteter aber glasklarer Navi-Darstellung und einer Sprachbedienung, die ihresgleichen sucht. Es geht ernsthaft und informativ zu. Bei ein wenig Muße und Fantasie sind aber auch angeregte Wortwechsel die Folge: „Hey Mercedes, erzähl einen Witz.“ Verblüffende Antwort: „Entschuldigung, aber deutsche Ingenieure sind nicht für ihren Humor bekannt.“ Wer MBUX nach einem sprachlichen Missverständnis rüde beschimpft, hört ja vermeintlich keiner, erhält kühl zur Antwort: „Wir sollten an unserer Beziehung arbeiten.“

Randolf Unruh

Viel Platz unter der Haube: Hier stecken die Hochvoltkomponenten, verwandt mit den Pkw. Der Motor nimmt nun hinten Platz.

Batterie-Aufladung mit mäßigem Tempo, zahlreiche Assistenzsysteme

Serienmäßig ist für den 3,5-Tonner bei 90 Sachen Schluss. Alternativ begrenzt Mercedes den eSprinter auf Tempo 80, 100 oder praxisgerechte 120 km/h. Im Stau sind dann wieder alle gleich. Auf der Nachbarspur auf der Autobahn steht ein Tankwagen mit dem Spruch „Alles Super“. Den eSprinter interessiert’s nicht. Er lädt serienmäßig mit 11 kW an der Wallbox und eher zaghaften 50 kW an der Schnellladesäule. Optional sind’s 115 kW, auch nicht wirklich sprintrig. Aber die Antwort passt vielleicht auf den Wunsch nach ein paar Extra-Kilometern, wenn’s auf dem Heimweg knapp wird. Für eilige Langstreckler oder gewichtige Großverbraucher mit Anhänger könnte Mercedes noch nachlegen.

Anders beim Rudel Assistenten an Bord, kommende Sicherheitsvorschriften verlangen nach Unterstützung in Mannschaftsstärke. Die Burschen arbeiten wie im richtigen Leben mal übereifrig, mal eher träge, mal perfekt. Der aktive Spurassistent lässt den Testwagen während der Testrunde zwar nicht nach rechts ins Gebüsch, aber durchaus über die gut erkennbare Mittellinie abdriften. Der Notbremsassistent warnt mehrfach unnötig vor einem schlanken Motorrad voraus, hält es mitsamt dem drahtigen Fahrer für einen Fußgänger. Generell geht dem Fahrer der vielfache Warnton im Calypso-Sound einer Steelband mitunter auf den Wecker, vor allem durch wiederholte Mahnungen bei der geringsten Geschwindigkeitsüberschreitung.

Was darf’s denn sein, hohe Nutzlast oder große Reichweite?

Ein Pfandhaus am Wegesrand lenkt die Gedanken auf die Kosten. Wie sieht es mit der Prämie für Premium beim Mercedes eSprinter aus? Der kleinste und einfachste eSprinter als Kastenwagen ist laut Konfigurator nun für netto 39 993 Euro im Angebot, das ist ein Wort. Mit 100 kW Motorleistung, 56-kWh-Batterie, einer Normreichweite von 224 Kilometern und einer knappen Tonne Nutzlast in Serienausstattung. Das ist deutlich mehr, als der Vorgänger konnte. Der Schritt zur stärkeren Maschine bedeutet einen Tausender zusätzlich. Die nächstgrößere Batterie mit 81 kWh kostet gut 8000 Euro Aufpreis und knapp 200 Kilo Nutzlast. Was darf’s also sein, Nutzlast oder Reichweite? Wer beides wünscht, ordert die dickste Batterie mit 113 kWh. Muss jedoch aus Gewichtsgründen zum 4,25-Tonner greifen und aus Platzgründen zum Sprinter lang hoch. Macht dann 62 388 Euro. Das will gut überlegt sein, auch angesichts von der zwangsläufigen Kombination mit Tempobegrenzung und Fahrtenschreiber sowie allgemeinen Lkw-Überholverboten.

Am Ende der Fahrt hat der Mercedes eSprinter im gemischten Einsatz mit Stadt und Stau, mit Überland- und Autobahnverkehr bei besten Witterungsbedingungen 28 kWh verbraucht, das entspricht der Normangabe. Passt schon, und das viel besser als bisher, egal unter welchem Himmel.

Hier gibt es noch mehr Informationen zum eSprinter:
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