Mercedes lädt den eSprinter auf

von | 19. Oktober 2023

Mehr Leistung, mehr Akku, mehr Varianten, zwei Tonnen Anhängelast und ein neuer Heckantrieb – jetzt legt der eSprinter richtig los. Die Van-Experten haben schon genau hingeschaut.
Mercedes Benz

Sprinter 1995: sachlicher Auftritt, unter dem Blech eine Revolution.

Nun wechselt der Mercedes eSprinter auf die Überholspur. Denn so kann’s Pionieren ergehen: Zuletzt fuhr die elektrifizierte Variante des Transporter-Bestsellers hinterher, taugte mit kleinen Batterien, schmalbrüstiger Maschine und seiner mittelgroßen Kastenwagen-Einheitskarosserie ohne freigegebene Anhängelast allenfalls für Paketdienste auf Kurzstrecken. Vor allem für die graublauen vom Internet-Großkaufhaus. Künftig wird der eSprinter auch den weit schwierigeren und vielfältigeren Anforderungen anderer Branchen gerecht

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Der Sprinter als Foodtruck

Drei Batteriegrößen – aber nicht für alle

Draußen Sprinter, drinnen E-Transporter – die Verpackung bleibt, der Inhalt wechselt. Basis ist unverändert die gewohnte Hülle des Sprinter. Indes tauscht Mercedes die bisherige E-Architektur komplett aus. Vorbei ist’s mit dem Frontantrieb, die Motorhaube wird zur Technikhaube. Denn unter ihr nimmt jetzt die Hochvolttechnik einschließlich Ladetechnologie Platz.
Unter dem Wagenboden dehnen sich wie gewohnt Batteriepakete, aber was für welche: War bisher bereits bei einer nutzbaren Kapazität von 47 kWh Schluss, so geht es künftig mit 56 kWh los, mit 81 kWh weiter und in der Spitze mündet sie sogar bei 113 kWh. Diese üppigste Ausführung bedeutet Rekord für große Transporter. Sie bedeutet eine echte Ansage für Langstreckenfahrer, Zugfahrzeuge oder Bergsteiger. Die Lithium-Eisenphosphat-Akkus des eSprinter kommen ohne das berüchtigte Kobalt sowie ohne Nickel und auch mit wenig Lithium aus. Die Batteriemodule wiegen, je nach Kapazität, 470, 620 oder 850 Kilogramm. Daraus lässt sich ableiten, warum die gewichtigste und größte Bestückung nur für den eSprinter mit 4,25 Tonnen mit langem Radstand verfügbar ist. Er erzielt damit nach WLTP-Norm mit rund 400 Kilometern eine beachtliche Reichweite. Sie ist bedingt auch wegen der zwangsläufigen Abregelung auf knapp 90 Sachen in dieser Gewichtsklasse. Wer sich mit dem großen eSprinter im Stadtzyklus bewegt, mit viel Rekuperation durch reichlich Bremsmanövern und Stopps, kann sogar 500 Kilometer schaffen.

Schneller Laden, verlängerte Garantie

Der eSprinter zunächst an der Wallbox mit 11-kW-Wechselstrom. Wer es eiliger hat, nutzt die serienmäßige DC-Schnellladefunktion mit CCS-Stecker und 50 kW. Dies ist nicht wirklich fix. Aber sie genügt für ein paar flotte Notstromkilometer unterwegs. Nicht genug? Dann gibt es auf Wunsch 115 kW Ladeleistung. Auch das klingt nicht wirklich rasant, von 10 auf 80 Prozent Füllstand dauert es 42 Minuten beim dicksten Akku. Aber der eSprinter geht beim Laden sorgsam mit seinen teuren Batterien um. Sein aktives Thermomanagement bringt zum Beispiel vor dem Ladestart die Batterie zunächst auf Wohlfühltemperatur. Die Garantie für die Akkus beläuft sich auf das gewohnte Maß von acht Jahren oder 160 000 Kilometer für 70 Prozent der Kapazität. Mercedes verlängert sie auf Wunsch auf 300 000 Kilometer.

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Studie: Sprinter mit Aluminium-Karosserie für KEP-Dienste.

Antriebseinheit im Aluminium-Heckmodul

Völlig neu ist ebenfalls der Antrieb. An der Hinterachse kommt eine komplette Einheit aus Motor, Getriebe und Achse zum Einsatz. Die E-Maschine erreicht je nach Ausführung eine Maximalleistung von 100 oder 150 kW. Die Dauerleistung beläuft sich jeweils auf 80 kW und das Drehmoment auf 400 Nm. Über ein Einganggetriebe multipliziert Mercedes wie andere Hersteller das Drehmoment, daher stehen an der Hinterachse 5250 Nm zur Verfügung. Das klingt deftig, relativiert sich aber ein wenig beim Blick auf die Diesel-Kollegen: Sie entwickeln durch die Übersetzung in Getriebe und nochmals in der Hinterachse noch mehr Kraft am Rad. Auch aus diesem Grund sind bärenstarke E-Motoren keine Kür, sondern Pflicht: Sonst geht den Transportern mangels Gangsprüngen an Steigungen oder mit Anhänger schnell die Puste aus. Gleichzeitig steigt die Rekuperation beim Bremsen, wenn der E-Motor als Generator dient. Beachtlich: Mit der jetzt gewählten Antriebstechnik gibt Mercedes bis zu zwei Tonnen Anhängelast frei.
Die Antriebseinheit des neuen eSprinter ist in einem Heckmodul aus Aluminium gelagert. Die Kraftübertragung erfolgt zwar unverändert auf eine starre Hinterachse. Aber es handelt sich um eine veredelte Variante, eine De-Dion-Achse. Sie verfügt über ein stämmiges Achsrohr und eine GfK-Blattfeder.

D-Auto: die Rekuperation nach Maß

Dies alles befehligt der Fahrer in einem gegenüber dem Vorgänger weitgehend unveränderten Cockpit. Es wird serienmäßig von einer stromsparenden Wärmepumpe temperiert. Bekannt sind die drei Fahrprogramme für unterschiedliche Dynamik. Die Höchstgeschwindigkeit ist auf 120 km/h begrenzt, alternativ auf 90 Sachen, beim 4,25-Tonner ohnehin. Auch die vier Rekuperationsstufen zwischen fast schwerelosem Dahinsegeln und Ein-Pedal-Fahren sind eine bekannte Größe. Zu kompliziert? Die Alternative ist neu und heißt D-Auto: Mit diesem Programm passt der eSprinter über den sogenannten Eco-Assistenten die Rekuperation selbstständig an. Basis sind die Daten von Assistenzsystemen, Kameras und Navigation.

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Neu im elektrifizierten Sprinter ist unter anderem das Infotainmentsystem MBUX.

Erstmals MBUX im eSprinter, perfektionierte Ladestrategie

Ebenfalls neu für den eSprinter ist das Infotainmentsystem MBUX mit seiner bekannt guten Sprachführung, rasanter Navigation und dem großen Display im Format 10,25 Zoll. Nützliche Dienste lassen sich über das Portal „Mercedes me“ abrufen. Da wären zum Beispiel die Vorklimatisierung, die Begrenzung des maximalen Stromverbrauchs und des Ladezustands oder auch ein digitales Fahrtenbuch. Raffiniert wird’s, wenn der eSprinter in Echtzeit, abhängig von der aktuellen Verkehrslage und Topografie der Route, die Reichweite anzeigt. Wem die Kilometerangabe zu theoretisch ist: Es gibt auch eine Kartendarstellung mit Umrissen der Reichweite, die sogenannte Kartoffel. Der eSprinter errechnet ebenfalls die bestmögliche Ladestrategie, um schnellstmöglich an entferntere Ziele zu gelangen, auch mit dem gewünschten Ladezustand bei der Ankunft. Zum Beispiel halbvoll bei Ankunft beim Kundenbesuch oder leer bei der Heimfahrt zur eigenen Wallbox im Betrieb.

Zahlreiche Varianten, aber Lücken bleiben

Ins Angebot rücken Kastenwagen in zwei Radständen und von sechs bis sieben Meter Länge sowie die entsprechenden Fahrgestelle. Das Gewichtsspektrum reicht von 3,5 bis 4,25 Tonnen. Der typische Sechsmeter-Kastenwagen trägt mit der kleinsten Batterie fast exakt eine Tonne Nutzlast, mit dem mittleren Akku maximal 830 Kilogramm. Die Tragfähigkeit der entsprechenden Fahrgestelle beläuft sich auf 1190 und 1375 Kilo.
Das alles macht den Mund wässrig für eine Vielzahl von Einsätzen, auch für Auf- und Ausbauten. Bleibt eher die Frage, was es nicht geben wird: keinen Allradantrieb, keinen Riesen-Kastenwagen im 7,3-Meter Format, keine Luftfederung und aufgrund der Konstruktion des Antriebsmoduls auch keine Zwillingsbereifung. Womit gleichzeitig gewichtige Kaliber ausgeschlossen sind.
Der neue eSprinter ist auch ein Amerikaner, dort ist er zuerst gestartet. In Europa geht es Ende des Jahres mit Kastenwagen los. Im Laufe des Jahres 2024 komplettiert Mercedes das Programm.

Van EA: Der nächste eSprinter kommt bestimmt

Auch der neue eSprinter ist ein Modell des Übergangs. Ab 2026 setzt Mercedes seine mittleren und großen Transporter Schritt für Schritt auf eine völlig neue Plattform namens Van EA. Das Kürzel steht für Elektro-Architektur. Mit Van EA wird nochmals alles anders. Basis ist dann wieder ein E-Motor unter der Fronthaube, Er treibt die Vorderräder an. Ist mehr Kraft und Traktion gefordert, kommt eine zweite E-Maschine im Bereich der Hinterachse hinzu. Mit dieser Kraft der zwei Herzen wird der eSprinter sogar zum Allradler. Der Weg auf die Überholspur des E-Antriebs ist mitunter weit und auch verschlungen.

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