Experten-Vorstellung: der neue Renault Trafic E-Tech
Lupenreiner Heckantrieb, 800-Volt-Architektur, fahrerbetontes Cockpit, attraktive Maße, verbrämt mit spannender Software – der neue Renault Trafic E-Tech ist schon heute ein Transporter von morgen. Nun hat Renault die weitgehend fertig entwickelte Serienausführung auf der Messe Solutrans in Lyon vorgestellt.
Im Vergleich zu herkömmlichen Transportern seiner Klasse sieht der neue Renault Trafic E-Tech bereits aus wie von einem anderen Stern. Die Konzentration auf eine E-Plattform macht es möglich. Kein klassischer Kühlergrill, der ist dank Heckantrieb mit Motor im Bereich der Hinterachse überflüssig. Drahtige Karosserie: Wer vorne keine umfangreiche Antriebstechnik unterbringen muss, schrumpft den Überhang auf ein Minimalmaß. Also schnurrt der Renault im Vergleich zum Vorgänger gleich um 210 Millimeter auf 4,87 Meter zusammen. Mit 1,92 Meter Breite ist er schlank, mit 1,90 Meter Höhe angenehm flach. Passend für Tiefgaragen, Einfahrten, Waschanlagen – oder ein Aufstelldach für einen Campervan unterhalb der Zwei-Meter-Linie.
Die Optik im One-Box-Design erinnert an einen Van ähnlich frühen Renault Espace, auch wegen der großen Van-Fenster zwischen A-Säule und Tür. Einen optischen Wow-Effekt erzielen die hochgesetzten Tagfahrleuchten und die illuminierte Spange einschließlich Markenzeichen dazwischen. Ebenso die aerodynamisch durchtrainierte Karosserie mit einer Luftführung von Schlitzen in den Stoßfängern über dezent gewölbte Wände bis zur Abreißkante am Heck mit schlanken Rückleuchten.
Der Radstand misst lange 3150 Millimeter, trotzdem beschränkt sich der Wendekreis auf 10,3 Meter, gemessen zwischen Bordsteinen. Oder 11,4 Meter in der Langausführung mit 3550 Millimeter Abstand zwischen den Achsen. Für das gängigere Wendemaß zwischen Wänden darf man jeweils einen knappen halben Meter draufrechnen. Immer noch gut, weil der Heckantrieb einen großen Radeinschlag erlaubt.
Mit konkreten Daten zu Abmessungen und Gewichten rund um den Laderaum tut sich Renault noch schwer. Also greifen wir mal fix zum Zentimetermaß. Die Ladekante des Kastenwagens liegt trotz des lupenreinen Heckantriebs lediglich 510 Millimeter hoch. Das Heckportal mit seinen Flügeltüren misst in Breite und Höhe 1355 x 1250 Millimeter, der Abstand zwischen den Radkästen 1350 Millimeter. Die Schiebetür erreicht im unteren Bereich dank des üppigen Radstands von 3150 Millimetern eine lichte Breite von 955 Millimeter und eine Höhe von 1200 Millimetern über dem Boden. Europaletten? Kein Problem: seitlich längs hinein und hinten quer.
Der Laderaum schluckt je nach Variante 5,1 oder 5,8 Kubikmeter. Ein Hochdach wird es nicht geben, da verweist Renault auf den größeren Master. Das Fahrgestell trägt bis zu 1,5 Tonnen, der Kastenwagen 1,25 Tonnen, der KEP-Spezialist Estafette 1,0 Tonnen. Die Anhängelast beläuft sich auf zwei Tonnen.
Hinzu kommt ein Fahrgestell mit Fahrerhaus. Geplant war es ursprünglich unter der Bezeichnung Goelette, einem kernigen früheren Renault-Transporter. Diese Bezeichnung hat Renault inzwischen gestrichen, das Chassis firmiert nun ebenfalls als Trafic E-Tech. Und dann wäre da noch die Variante Estafette, ein hochspezifischer KEP-Transporter auf der identischen Plattform, immer mit langem Radstand. Der hohe Estafette-Laderaum mit Zugang von vorn vom hochgesetzten Fahrerplatz und per Rolltor im Heck schluckt 9,2 Kubikmeter.
Damit es zügig vorwärtsgeht, pflanzt Renault – oder Entwicklungspartner Flexis, das weiß man nicht so genau – einen kräftigen Elektromotor mit 150 kW Leistung und 345 Nm Drehmoment ins Heck. Damit die Fuhre nicht unnötig an der Ladesäule steht, gibt es zur Aerodynamik als Dreingabe eine Wärmepumpe für die Klimatisierung. Renault deutet einen Stromverbrauch von lediglich rund 17 kWh nach WLTP, das wäre ein Ding. Allein der aerodynamische Feinschliff soll rund zehn Prozent zum günstigen Verbrauch beitragen.
Der neue Renault Trafic E-Tech trägt unter seinem Bauch zwei unterschiedliche Batterien. Da wäre zunächst ein kompakter, vergleichsweise günstiger und langlebiger Lithium-Eisenphosphat-Akku (LFP) mit 60 kWh. Damit sollen nach WLTP-Norm 350 Kilometer Reichweite drin sein. Wer Strecke machen will oder gewichtige Aufbauten schultert, greift zum NMC-Akku (Nickel-Mangan-Kobalt) mit 81 kWh Kapazität. Damit wächst die Reichweite auf 450 Kilometer.
Je nach Ausführung wird flott mit bis zu 160 kW oder gar 240 kW geladen, rekordverdächtig für Transporter. Kurze Ladepausen gewährleistet außerdem das aufwendige 800-Volt-Bordnetz. Das sparen sich alle anderen Transporterhersteller, mit Ausnahme kommender Mercedes-Modelle. Vorne dran ist Renault auch mit der Möglichkeit, sowohl den Aufbau als auch Werkzeuge mit Strom zu versorgen, Fachbegriff Vehicle-to-Load, kurz V2L. Das klappt über Steckdosen in Cockpit und Laderaum sowie per Adapter auch über die Ladesteckdose vorne rechts in Höhe des Radlaufs.
Augenfällig ist ebenfalls das komplett neu eingerichtete Cockpit. Die erste Sitzprobe ergibt reichlich Platz auch für große Fahrer sowie sanft-komfortable Polster. Der Armaturenträger ist röhrenförmig gestaltet, daraus resultieren Ablagewannen im oberen Bereich. Fahrer blicken auf einen breitwandigen Bildschirm im Format zehn Zoll. Er ist konfigurierbar, das gehört sich heute so, Farblich wirkt die Oberfläche fast grellbunt, das verlangt Gewöhnung.
Rechterhand kommt ein quadratisch gestalteter und auf den Fahrer ausgerichteter Monitor im Format zwölf Zoll hinzu. Das Navigationssystem ist, so Renault, speziell auf Transporter ausgelegt und soll ungeeignete Strecken vermeiden. Ebenso lässt sich eine Fahrstilbewertung abrufen.
Das neue Betriebssystem CAR OS (Car Operating System) wurde von der Renault-Tochter Ampere entwickelt und läuft mit Android Automotive OS. Kein Wunder, dass Renault von einem Software Difened Vehicle (SDV) spricht – dem hochaktuellen Begriff aus der schönen neuen digitalen Fahrzeugwelt.
Im Rennen um die nützlichste Software setzt sich der Renault Trafic gleich mal an die Spitze. Zwei Hochleistungs-Zentralrechner ersetzen die bisher gewohnte Sammlung von Steuergeräten. Folge sind ein rasantes Übertragungstempo sowie jede Menge neue Möglichkeiten zur Datenübertragung in beide Richtungen. Ins Fahrzeug hinein per Updates Over-The-Air (OTA), Erweiterung von Funktionen oder individuelle Angebote für spezielle Einsätze. Aus dem Fahrzeug hinaus zur Überwachung der relevanten Fahrzeugtechnik in Echtzeit einschließlich Diagnosen. In beide Richtungen für Telematiksysteme zur Flottensteuerung.
Raffiniert: Fahrzeuge mit besonderen Funktionen wie Kühlfahrzeuge, Krankenwagen oder andere Sonderumbauten können die intelligente SDV-Architektur ebenfalls in nutzen. Bei Kühlfahrzeugen zum Beispiel greift die Technik zur Planung der Ladestopps auf Echtzeitinformationen wie die Außentemperatur und den tatsächlichen Stromverbrauch des Fahrzeugs zum Aufrechterhalten der Kühlkette zurück.
Nun heißt es Geduld bewahren. Im Moment sind bei Entwicklungspartner und Beteiligungsunternehmen Flexis 50 Prototypen im Test unterwegs. Sie sollen allein in den vergangenen vier Wochen unter verschärften Bedingungen 20 000 Kilometer zurückgelegt haben. Der neue Renault Trafic E-Tech geht im kommenden Herbst als Kastenwagen an den Start. Varianten wie das Fahrgestell mit Fahrerhaus oder das KEP-Modell Estafette werden folgen.
Auch noch ganz frisch: der große Bruder Renault Master und dessen Zwilling Nissan Interstar:
Experten-Fahrbericht: der neue Renault Master
Experten-Test: Nissan Interstar
Renault
Randolf Unruh
Randolf Unruh
Randolf Unruh








