Experten-Test: VW Transporter T6.1
Zwei Jahrzehnte hat der Alte auf dem ungebeugten Buckel. Manch heutiger Führerscheininhaber war noch nicht geboren, als der VW 2003 als T5 auf die Welt kam. Inzwischen heißt er T6.1. Steht als Senior richtig gut da, hat sich feingemacht für den Test, es ist der letzte dieser Generation des vollwertigen VW Transporter. Mit weißem Lack und dezenten Streifen, Stoßfängern in Wagenfarbe, schwarzen Spiegelgehäusen, abgedunkelten Scheiben im Fond und dem glänzenden schwarzen Dach – schick. Muss man alles nicht haben, steht ihm aber gut. Senioren sind keine faltigen Mummelgreise wie vor ein, zwei Generationen.
Das betrifft auch die Fitness, der VW T6.1 steht nicht nur gut da, er packt auch an. Aufmerksame Beobachter bemerken die leer etwas hochbeinige Karosserie des Kastenwagens, der Dreitonner lauert auf Fracht. Angetreten ist er als Transporter Kastenwagen Plus, hinter der Schiebetür steckt also eine Dreiersitzbank mit Trennwand zum Laderaum. Ein Alleskönner zum Transport von Mann und Maus, nichts wie hinein mit der Palette, beladen mit 900 Kilo Putz. Bitte längs einladen, sonst sind wegen der Trennwand die vorderen Zurrösen nicht mehr zugänglich. Kein Problem, der Frachtraum misst 1,4 Meter auf halber Höhe. Das heißt ebenfalls, dass die versprochenen zwei Paletten quer bei flächendeckender Beladung nicht passen. Aber für flache Gegenstände bis fast einsneunzig Länge ist Platz (mehr als die Werksangabe), denn die Rückbank kann über die volle Breite unterladen werden. Vor dem Verzurren wandert noch ein halbes Dutzend der 30-Kilo-Säcke in Handarbeit nach vorn vor die Rückbank, die Achslastverteilung, klar.
Heiser wie ein Raucherkatarrh röchelt der Anlasser, danach ertönt gedämpft die Reibeisenstimme des Dieselmotors, der Joe Cocker unter den Motoren. An Bord gibt es einen klassischen Zündschlüssel, einen Schaltknauf und einen Handbremshebel. Und fast keine Assistenzsysteme. Der Fahrer kann daher – im Transporter unvermeidlich – auf kurvigen Landstraßen und in Autobahnbaustellen die Begrenzungslinien touchieren, ohne ein Feuerwerk an Warnungen in Gang zu setzen. Kein übereifriger Assistent lenkt den T6.1 auf kurvigen Sträßchen in gut gemeinter aber in Konsequenz fast selbstmörderischer Absicht in den Gegenverkehr. Die Klimatisierung lässt sich mit drei übersichtlichen Drehreglern steuern. Hier ist der Fahrer noch selbstbestimmt unterwegs, wird nicht gefahren, sondern fährt. Ein herrlicher Anachronismus für Engagierte nach allerhand Ausflügen in die schöne neue Welt der E-Mobilität und der Assistenten mit Helfersyndrom.
Nun muss er ran der TDI-Motor, er ackert und orgelt, rumort und röhrt, schnauft und prustet, lässt die Einspritzleitungen anschwellen und den Vorderwagen bei niedrigen Drehzahlen trotz Ausgleichswellen beim Anspannen der kräftigen Muskeln vor Anstrengung leicht vibrieren. Alles nicht laut, aber rau. Trotz des schicken Outfits geht hier ein Arbeiter ans Werk, kein Bürohengst.
VW hat den Diesel des T6.1 für die letzte Stufe von Euro 6 nochmals überarbeitet: motornahe Abgasreinigung mit doppeltem SCR-Kat, dreiphasige Abgasrückführung, neues Einspritzsystem, neuer Turbolader. Vor 20 Jahren, der Geburtsstunde des T5 mit identischem Blech, galt noch Euro 3 mit doppelten Schadstoffmengen als Grenzwerten unter viel schlapperen Bedingungen. Partikelfilter waren noch außer Sicht und die kräftigeren Fünfzylindermotoren waren aufwendige halbierte V10. Lange her. Und heute? Ganz tiefe Drehzahlen mag die Zweilitermaschine nicht, ganz hohe Drehzahlen braucht sie nicht. Das tiefe Turboloch liegt, so VW, an der Konzentration auf möglichst saubere Abgase. Dazwischen fühlt sich der Motor pudelwohl, packt spontan und fest zu. 110 kW (150 PS) Leistung und 340 Nm Drehmoment sind die Basis für prächtige Fahrleistungen – der Altmeister ist topfit. Kein Wunder also, dass VW 2,5 Tonnen Anhängelast spendiert. Passend dazu ist das Getriebe im ersten Gang so kurz übersetzt, dass die Fuhre auch am Berg ohne Kupplungsschaden anfährt.
Gleichzeitig spreizt VW die sechs Gänge so weit, dass der Transporter in der höchsten Stufe gemütlich dahinbummelt. Tempo 100 bedeutet knapp 1800 Touren, in voller Fahrt über die Autobahn wie der Gottseibeiuns mit 180 Sachen ist der VW mit kaum mehr als 3000 Touren unterwegs. Längst übertönen dann Windgeräusche den kratzigen Diesel.
Im Unterschied zu so manch jüngerem Kollegen liegt der Transporter selbst dann satt auf der Straße, die ruhige und präzise Lenkung hält ihn sicher auf Kurs. Selbst ein kurzer Haken beim Spurwechsel bringt ihn nicht aus dem Gleichgewicht. Angesichts der gut gewürzten Testrunde liegt der Verbrauch mit exakt 8,0 Litern/100 km günstig, schließlich rollt der VW während des Experten-Tests bei kühlen Temperaturen weitgehend ohne Start-Stopp und mit Winterreifen in seinen zwanzigsten Frühling.
Beladen zeigt sich der T6.1 von seiner komfortablen Seite. Ja, er neigt sich dann in Kurven und der Vorderwagen taucht dann ein. Aber es passiert nichts, der Transporter steckt selbstrüde Manöver gelassen weg, der ESP-Eingriff ist weit entfernt. Ohne Fracht an Bord wirkt das Fahrwerk dagegen etwas steifbeinig, es mag auch an den schmucken 17-Zoll-Rädern liegen. Mitfahrern steht neben dem eher knappen Doppelbeifahrersitz die breite Bank im Fond zur Verfügung. Die einzelnen Plätze sind leicht ausgeformt, der Raum genügt auch großen Passagieren. Ablagen in Seitenwand und Türen nehmen Kleinkram auf, die Vollverkleidung ist von angemessener Qualität, auch an ein Schiebefenster ist gedacht. Als Mannschaftswagen macht der VW eine gute Figur.
Weiter vorn sowieso. Der Fahrersitz ist wie gewohnt mehr Sessel als Sitz, die traditionell hohe Sitzposition verleiht Übersicht, es gibt Ablagen zuhauf und die Rundinstrumente sind prima ablesbar. Nicht zuletzt setzt der Alte in Verarbeitung und Materialqualität Maßstäbe, die seine aktuellen Nachfolger nicht mehr erreichen. Manche Schrulle gehört auch dazu, so lässt der Spiegel rechts immer noch einen lästigen toten Winkel. Vielleicht wäre das eine oder andere Assistenzsystem also doch nicht so schlecht. Immerhin hat das serienmäßige Radio kein Laufwerk mehr für die alte Joe-Cocker-Musikkassette, oder war’s schon eine CD? Väterchen Transporter käme damit zurecht, ganz sicher. Also spendiert jetzt der raue Diesel den passenden Sound. Der teure Sprit an der Tanksäule tut weh, aber er hat ihn sich verdient. 70 Liter passen in den Tank – da klingen Reichweitendebatten von Stromern absurd. Der Fahrer eines T6.1 tankt wenn er will, nicht wenn er muss. Hinzu kommt ein ordentlicher Schluck Adblue, das spricht für eine wirksame Abgasreinigung. Bestellbar ist der Transporter längst nicht mehr, aber man kann noch welche finden. Vielleicht sollte man sich noch rechtzeitig ein, zwei T6.1 zurücklegen?
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Abmessungen (L/B/H): 4.904/1.904/1.990 mm
Radstand: 3.000 mm
Wendekreis: 11.900 m
Laderaum (L/B/H): 1.400-1.870/1.700/1.410 mm
Breite zw. Radkästen: 1.244 mm
Ladekapazität: 3,5 m³
Leergewicht Testwagen: 2.000 kg
Nutzlast: 1.000 kg
Zul. Gesamtgewicht 3.000 kg
Anhängelast bei 12 % Steigung 2.500 kg
Zul. Zuggesamtgewicht 5.200 kg
Motor: Turbodiesel
Hubraum: 1.968 cm³
Leistung: 110 kW (150 PS)
Drehmoment: 340 Nm
Getriebe: Sechsgang-Schaltgetriebe
Antrieb: auf die Vorderachse
Beschleunigung: 0 – 50/100 km/h 5,0/12,7 s
Elastizität:
60 – 80 km/h IV/V 4,2/6,1 s
60 – 100 km/h IV/V 8,5/12,2 s
80 – 120 km/h VI 18,8 s
Höchstgeschwindigkeit 183 km/h
Innengeräusche:
Stand/50/80/100 km/h 48/60/63/65 db(A)
Höchstgeschwindigkeit 73 dB(A)
Verbrauch: 7,3 L/100 km WLTP kombiniert
CO2-Emissionen: 192 g/km kombiniert
Teststrecke beladen: 8,0 L/100 km
Testverbrauch beladen: min./max. 6,8-12,5 L/100 km
Testverbrauch Adblue: 1,58 L/100 km
Preis (exkl. MwSt.): 38.360 Euro (2022)




