Leseprobe
Experten-Test: Fiat E-Ducato
Was haben die Country-Legende Dolly Parton und der Fiat Ducato gemeinsam? Beide sind – Verzeihung – nicht mehr die jüngsten. Sie haben sich über die Jahre so oft liften lassen, dass nur noch Kenner die Schritte nachvollziehen können. Siestehen zu diesen Veränderungen. Und beide erfinden sich durchaus erfolgreich immer wieder neu.
2006 kam der Fiat Ducato auf die Welt, flankiert von seinen Geschwistern der Marken Citroen und Peugeot, inzwischen durch Opel ergänzt. Das baugleiche Quartett zeigt, was ein Elektroantrieb zu leisten vermag. Hier exemplarisch dargestellt und überprüft am Fiat E-Ducato. Sein E-Paket setzt sich aus einer dicken Batterie mit einer nominellen Kapazität von 110 kWh – nutzbar sind davon 98 kWh – und einem Motor mit einer höchst beachtlichen Leistung von 200 kW sowie einem Drehmoment von 410 Nm zusammen. Auswahl an Antriebsvarianten gibt es nicht, man muss den E-Ducato nehmen wie er ist.
Im Gegenzug bringt er Leistung: Volldampf aus dem Stand erinnert an den tiefen Lungenzug an einer kratzigen Nazionali Esportazione senzo filtro. Dieser Transporter beschleunigt nicht, er explodiert. Den Standardsprint von null auf 100 Sachen, nicht unbedingt eine Lieblingsdisziplin für kräftig gebaute 3,5-Tonner, der Fiat E-Ducato erledigt ihn mal eben in 9,6 Sekunden. Ganz ohne jugendlichen Krawall und peinliche schwarze Striche auf der Fahrbahn. Die Zwischenbeschleunigung ähnelt einer Kernschmelze: Tempo 60 bis 100 mit Kickdown, typisch am Ende einer Autobahnbaustelle und für dicke Diesel mit langer Übersetzung eine Herausforderung – 5,6 Sekunden.
Da blickt so mancher Autofahrer verblüfft hinterher und dem Ducato-Piloten zieht es aufgrund der faszinierenden Kraftentfaltung breit grinsend die Mundwinkel nach hinten bis zu den Ohren. Wurde er hier geboren, der Begriff vom permanenterregten Synchronmotor für die E-Maschine?
Bei gut 130 Sachen ist dann Schluss. Und mal ehrlich: Muss das alles sein? Also die Taste für die Fahrdynamikregelung gedrückt und von „Power“ auf „Normal“ gestellt. Die verbleibenden 160 kW/380 Nm sind mehr als genug. Und wenn die Fuhre leer ist, tut’s problemlos der Eco-Modus mit 120 kW/360 Nm. Dann ist das Maximaltempo auf 90 km/h begrenzt. Ist mehr Mumm und Tempo gefragt, einfach Fahrpedal voll durchtreten, schon geht’s wieder ab. Der Fiat E-Ducato wirkt davon etwas überrascht, stolpert kurz. Also Normalmodus verwenden und alles andere vergessen.
Das gilt ebenfalls für die Rekuperation, beinflussbar mit Schaltpaddeln hinter dem Lenkrad. Im Segelmodus rollt der Transporter leichtfüßig mit höchst dezenter Verzögerung, also Obacht bei Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Ortseinfahrten. Stufe eins entspricht etwa der Motorbremswirkung bei Gas weg im Verbrenner. Stufe zwei steigert die Bremswirkung, Stufe drei bis zum Einpedalmodus. Dann aber geht’s ruppig zu, diese Variante verlangt einen sehr feinfühligen Fuß auf dem Fahrpedal. Aufmerksamkeit war beim Testwagen auch angesichts einer deutlichen Tacho-Nacheilung geboten. Er lief ein ganzes Stück schneller, als die Polizei erlaubt. Machte auch nicht bei Tempo 130 Halt, sondern rannte an die 140 km/h.
Derlei Tempo sowie Beschleunigungsorgien verbieten sich auf Dauer, sonst sind selbst 98 kWh Stromkapazität schnell verbraucht. Zumal der Fiat E-Ducato zwar nominell mit bis zu 150 kW recht flott lädt, sich für eine Komplettbetankung aber Zeit lässt. Gut eine Stunde Zeit von 80 auf 100 Prozent Füllstand sagt die Anzeige der Displays voraus, der Strom tröpfelt selbst an der Gleichstromsäule nur langsam. Stichwort Display: In Cockpitmitte lassen sich Ladezeiten programmieren, auch die Ladeleistung und andere Feinstellungen vornehmen. Alles in prima Klarschrift gekennzeichnet.
Für die obligatorische Verbrauchsfahrt packt der Baustoffhändler eine überschaubare Palette Schnellbeton ins Heck. So ist das eben bei 2,84 Tonnen Leer- und 3,5 Tonnen Gesamtgewicht: Der dicke Batteriebrocken im Untergrund kostet Kapazität. Ausweg wäre ein Griff zum 4,25-Tonner mit entsprechend lästigen Verkehrs-Einschränkungen, die Stichworte heißen unter anderem Tempobegrenzung, allgemeines Lkw-Überhol- und Einfahrverbot in Orte, Fahrtenschreiber.
Unterwegs bewahrheitet sich erneut: Der Verbrauch eines E-Antriebs ist ein genaues Spiegelbild der abgeforderten Leistung. Er lag beim voll ausgeladenen Testwagen zwischen 18,9 kWh/100 km auf der Kurzstrecke, 24,4 kWh/100 km auf der Landstraße und 40 kWh bei voller Fahrt auf der Autobahn. Macht im Schnitt einschließlich weiterer Etappen 28,8 kWh. Damit passt sich der Hochleistungs-E-Transporter gut in sein Wettbewerbsumfeld ein. Und fährt je nach Einsatz ganz schön weit.
Doch zügige Langstrecken als Kilometerfresser schafft auch der E-Ducato nicht. Ein Rechenexempel: Auf weiten Fahrten sind mit überschaubaren Ladepausen und ohne Angst vor leerem Akku sind zwischen zehn und 80 Prozent der Batteriekapazität nutzbar, hier also 70 kWh. Daraus resultiert bei gelassener Fahrweise eine Reichweite von rund 250 Kilometern. Trotz dank serienmäßiger Unterstützung wie der Wärmepumpe für die Klimatisierung. Oder der verbesserten Aerodynamik mit einer weitgehend eingeebneten Frontpartie – jetzt ohne Trittstufe zum Scheibenputzen – und geriffelten Gehäusen der Außenspiegel sowie einem per Bodenplatte geglätteten Unterboden.
Der Fahrer hat derweil alles bestens unter Kontrolle. Die digitalen Rundinstrumente sind nicht nur recht bunt, sondern auch ordentlich ablesbar. Zusätzliche Detailanzeigen informieren über Batteriestand und Reichweite. Ein Tastendruck genügt, schon taucht der Durchschnittsverbrauch auf. Begleitet von einer Art Ökometer, das an einen Bandtacho der sechziger Jahre erinnert und schon bei leichtem Druck aufs Fahrpedal von Grün über Gelb zum mahnenden Orange wechselt.
Perfekt sitzt der praktische Drehregler für Vorwärts- oder Rückwärtsfahrt links in der Mittelkonsole, platzsparend und eingängig zugleich. Elektronischer Schlüssel, elektronische Handbremse, gut bedienbare automatische Klimatisierung, drei Steckdosenformate, griffige Lenkradtasten und die pfiffige Idee der Radiobedienung auf der Rückseite der Lenkradspeichen, auf Wunsch ein digitaler Innenspiegel – Alter schützt nicht vor Modernität und der E-Ducato dreht damit manch einem Kollegen eine Nase. So sind sie, die jungen Alten.
Zu deren Auftritt auch eine markante Optik gehört. Der neue Grill erinnert an die Ur-Variante des Fiat Ducato von 2006. Ist allerdings nach unten bis in den Stoßfänger verlegt und vermeidet das einst so missmutige blickende Gesicht. Drüber rahmen den selbstbewussten Markenschriftzug markante Luftschlitze ein. Böse Zungen murmeln etwas von Gemüsehobel. Vielleicht nur eine Sache der Gewöhnung – langweilig sah der große Fiat in den vergangenen Jahren noch nie aus.
Und so fährt er sich auch nicht. Beim Einsteigen – Haltegriffe gibt’s nicht mal für den Beifahrer, auch keine Kleiderhaken – droht großen Fahrern wie gehabt Kontakt zwischen Kopf und Dachgalerie. Ebenso unverändert im langen Leben des Ducato ist die etwas eigenwillige froschige Sitzposition. Die Türen schließen scheppernd und die verwendeten Materialien sind schlicht, an den Türen schaut das blanke Blech durch. Auch das ist gestrig und ein Ducato wollte noch nie ein Edelmann sein. Aber die Sitze sind recht angenehm gepolstert. Und wer die Ablage aus der Lehne des serienmäßigen Mittelsitzes herausklappt, entdeckt einen drehbaren Tisch für Laptop, Papierkram oder Pausenbrot.
Prima Lenkung, milderes Fahrwerk und hochmoderne Assistenzsysteme
Teil der sehr individuellen Optik des E-Ducato ist auch das ist das hochstehende Heck über den Einblatt-Parabelfedern, ähnlich einem Entenbürzel. Ursache ist die maximale Achslast von 2,4 Tonnen, für einen Fronttriebler recht üppig. Das gewichtige Batteriepaket – links und rechts eingerahmt von schützenden Kufen und zusätzlich abgeschirmt durch die Bodenplatte – nimmt dem Fahrwerk ein wenig der bisher bekannten Härte. Die elektrische Lenkung arbeitet wie gewohnt in Mittellage gelassen, beim Einschlag zielgenau und mit der richtigen Unterstützung. Auch die Türen zum Laderaum kennen serienmäßig keine Haltegriffe, die Beleuchtung mit zwei Lämpchen ohne LED ist nicht zeitgemäß und die Bleche sind überschaubar sorgfältig verschweißt. Schließlich rundet Fiat bei der Angabe des Laderaumvolumens – hier 13 Kubikmeter – großzügig auf. Angesichts der kurzen Nase des E-Ducato und sehr viel Platz zwischen den Radkästen fehlt es trotzdem nicht an Raum.
In Sachen Assistenzsysteme ist der Senior voll auf der Höhe der Zeit. Gefahren und getestet: Der Totwinkelassistent warnt frühzeitig vor Überholern, die 360-Grad-Sensoren fast übereifrig vor Rangierschäden. Der Notbremsassistent macht bei Gefahr ordentlich Radau und bremst zur Vermeidung möglicher Auffahrunfälle, der Abstandsregler reagiert feinfühlig. Der Verkehrszeichenassistent bremst die Fuhre bei Tempobegrenzungen nicht rüde ein, sondern fragt bei Änderungen höflich an, ob er das neue Tempo übernehmen soll. So gehört sich das, ist ein Beispiel für gute klassische Erziehung und ein Beweis, dass der Fiat E-Ducato nicht nur wegen seines überschäumenden Temperaments noch nicht zum alten Eisen zählt. Noch eine Gemeinsamkeit mit Dolly Parton.
Soll’s lieber ein elektrifizierter Opel Movano sein? Hier gehT#s zum Fahrbericht:
Experten-Fahrbericht: Opel Movano Electric
Und dann gibt es beim Quartett der Stellantis-Transporter noch etwas ganz Besonderes:
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