30 Jahre Mercedes Sprinter: so eroberte der Stern die 3,5-Tonner
Er ist das Aushängeschild der Transporter mit Stern. Jetzt feiert er putzmunter Geburtstag. 30 Jahre Mercedes Sprinter.
Mitte der neunziger Jahre: Das Programm der Transporter und Lkw mit Stern setzt sich aus Senioren zusammen. Mittendrin der knöcherne Transporter T1, nach seinem ursprünglichen Produktionsstandort auch „Bremer“ genannt. Stichworte: lärmender Motor halb in der Kabine, starre und blattgefederte Vorderachse. Mit dem Sprinter, dem ersten Mercedes-Transporter der einen Namen trägt, setzt eine beispiellose Erneuerungswelle ein, ein wahrer Modell-Tsunami. Und mit der Urgewalt eines Tsunami – oder wie ein Sprinter als Modellathlet – krempelt Mercedes die Klasse der großen Transporter rund um 3,5 Tonnen um.
Sprinter I: der Beginn einer neuen Ära
Mainz im Winter 1995, Vorstellung des neuen Sprinter. Ein paar Tage zuvor gab’s noch Hochwasser, Gefahr für die Veranstaltung. Nun aber preschen nagelneue Transporter durch die Region. Wenige Wochen zuvor waren sie noch getarnt im Großraum Stuttgart unterwegs. Das Äußere der ersten Sprinter-Generation ist zeitlos-harmonisch. Das Interieur steckt voller Tricks. Die Fahrertür überlappt die Tankklappe und verriegelt sie somit. Unten in geschlossenen Türablagen stecken Warndreieck und Verbandskasten, das Werkzeug verbirgt sich unter einem Bodendeckel im Beifahrer-Fußraum.
Hinterradantrieb ist für den großen Mercedes gesetzt, ebenso eine vorbildliche Sicherheitsausstattung mit Scheibenbremsen rundum, ABS und einem automatisches Bremsdifferenzial. Die Vorderräder sind nun einzeln aufgehängt, verbunden durch eine Querblattfeder. Die müde Basismotorisierung aus dem Vorgänger mit 58 kW (79 PS) ergänzt ein famoser aufgeladener Fünfzylinder-Direkteinspritzer mit 90 kW (122 PS) und 280 Nm Drehmoment, seinerzeit ein wahres Tier von einem Motor. Zu den vielen Transporter-Varianten gesellt sich mit dem ebenfalls neu entwickelten James Cook ein durchdachter und höchst komfortabler Campervan mit Bad. Ausgebaut von Westfalia, setzt er ebenfalls Maßstäbe.
Die erste Sprinter-Generation bekommt schnell Nachwuchs. Da wäre auf seiner Basis ein Jahr später die zweite Generation des VW LT. Eine Variante mit Allradantrieb – er wird in unterschiedlichen Ausprägungen in allen Sprinter-Generationen zu finden sein – später eine komplett neue Motorengeneration mit bis zu 115 kW (156 PS), ein Sechstonner und Übungen wie eine Studie mit Aluminium-Aufbau für KEP-Dienste, Gasantrieb, Brennstoffzelle oder Hybride sowie ein erster batterie-elektrischer Antrieb. Auch wechselt das Cockpit im Laufe der Jahre von kantig zu rundlich. In Nordamerika tritt der Sprinter erst als Freightliner an, dann als Dodge, bloß nicht als Mercedes-Benz, bewahre.
Indes führt die teils feurige Motorisierung zusammen mit dem Heranwachsen von stets eiligen Kurierdiensten zu einer spürbaren Steigerung der Unfallzahlen. Mercedes begegnet dem Thema unter anderem wirkungsvoll durch die Einführung von ESP, zeigt 2004 einen „Innovationsträger Sicherheit“ mit Assistenzsystemen von morgen.
Sprinter II: nochmals kräftiger und sicherer
Zum Thema Sicherheit gehört auch die bewusst weicher und freundlicher gestaltete Frontansicht der zweiten Sprinter-Generation ab 2006. Eine gepfeilte Sicke verleiht der Flanke gleichzeitig eine gewisse Dynamik. Der Sprinter wird Pkw-ähnlicher, vom sanfteren Fahrwerk bis zum Cockpit, nun auf Wunsch mit Multifunktionslenkrad. Neue Spitzenmotorisierung ist ein V6-Turbodiesel. Ein feines Stück Technik, für Liebhaber und Wohnmobile. Und obendrein mit 135 kW (184 PS) bärenstark.
Die Sicherheitssysteme des Safety-Sprinter sickern zunehmend in die neue Modellreihe ein. Ab Werk gibt es den Sprinter jetzt zusätzlich mit einem Alko-Tiefrahmen. Gezielt auf Wohnmobile, doch mit Hinterradantrieb kann die Kombination ihre Vorzüge noch nicht perfekt ausspielen. Auch das Thema Alternativantrieb steht wieder auf der Liste. Der Sprinter als Vollhybrid oder Plug-in-Hybrid weisen als Versuchsflotte Richtung E-Antrieb, dazu gibt’s einen Erdgasantrieb sowie einen Flüssiggas-Sprinter ab Werk zu kaufen. Auf der IAA 2012 steht ein batterie-elektrischer Sprinter – und verschwindet wieder in der Versenkung. Ab 2013 trägt der Sprinter wieder ein markanteres Gesicht. Auch beginnt die große Zeit der Assistenzsysteme gegen Seitenwind und zu geringen Abstand, für Bremse, Spurhaltung und Fernlicht.
Nicht zu vergessen: Auch bei der zweiten Generation des Sprinter ist wieder VW an Bord, Mercedes fertigt auf Basis des Transporters den VW Crafter. Wenn auch nicht bis in alle Verästelungen und Antriebsvarianten des Modellprogramms.
Sprinter III: der Transporter wird vielfältiger, internationaler und elektrischer
Das ändert sich 2018 mit der dritten Generation, nun ist der Sprinter erstmals solo unterwegs. Draußen mit abermals schärfer geschnittenem Gesicht. Drinnen mit einem komplett neuen Cockpit einschließlich des vorbildlichen Infotainmentsystems MBUX. Ganz neu ist eine zusätzliche Variante mit Vorderradantrieb. Als Leichtgewicht, für mehr Volumen, mit eingeschränktem Modellprogramm und passend auch für die Wohnmobilbranche, da dort gern verbunden mit dem jetzt maßgeschneiderten Alko-Tiefrahmen. Je nach Antrieb fährt der Sprinter vorn mit unterschiedlichen Radaufhängungen, je nach Markt aus unterschiedlichen Werken: zu Düsseldorf (geschlossene Varianten), Ludwigsfelde (Fahrgestelle) gesellt sich nun eine Fertigung in den USA.
Der sehr geschätzte V6 wird nicht mehr lange unter der Motorhaube arbeiten, zu viele Emissionen. Immer kräftigere kompakte Vierzylinder rücken ihm auf die Pelle. Was anfangs bullige Spitzenmotorisierung war, reicht heute in etwa gerade so für den Einstieg. Hinzu gesellt sich der batterie-elektrisch angetriebene eSprinter, zunächst noch mit überschaubarer Batterie und ebensolcher Motorleistung sowie Einheitskarosse. Ein Einzelstück bleibt dagegen ein Prototyp mit Brennstoffzelle.
Beeindruckend sind die Assistenzsysteme mit immer größerem Umfang und immer besserer Feinabstimmung. Rund ein Vierteljahrhundert nach Premiere des Ur-Sprinter ist der Mercedes mehr denn je ein Sicherheits-Transporter. Und er ist vernetzt, mit Echtzeit-Überwachung der wesentlichen Systeme. In die Zukunft fährt der batterie-elektrische eSprinter ab 2024 mit einem komplett neuen Antrieb, nun mit erheblich kräftigeren Batterievarianten und Elektromotoren, die im Bereich der Hinterachse Platz nehmen sowie zahlreichen Karosserien und Fahrgestellen.
30 Jahre Mercedes Sprinter – wie geht es weiter? Da wäre die Studie eSprinter „Sustaineer“ mit zahlreichen Features wie Kameras statt Außenspiegeln, Solardach und Keramikbremsen. Und die Ankündigung einer neuen E-Plattform, dann wird der Antrieb wieder von hinten nach vorn wechseln. Das dürfte zunächst ab 2026 für den kommenden Vito und V-Klasse passen, der Sprinter sollte folgen.
Und der Erfolg? Längst ist der Mercedes Sprinter unter seinesgleichen eine Klasse fast für sich. Mit Stückzahlen von inzwischen jährlich rund 200 000 Einheiten sehr erfolgreich. Seine Gesamtzahl nähert sich fünf Millionen. Und Mercedes packt zum Jubiläum einige Ausstattungen in ein Sondermodell als Geburtstags-Sprinter. Die Überlebenden von 1995 können jetzt ein H-Kennzeichen tragen.
Und hier ist der Test des aktuellen eSprinter:
Experten-Test: der neue Mercedes eSprinter






