Experten-Test: Mercedes eSprinter mit Kofferaufbau
Die Begrüßung ist freundschaftlich. „Hallo Mercedes.“ Antwort: „Was kann ich für Dich tun?“ Gegenfrage: „Wie geht es Dir?“ „Bei mir läuft’s.“ Dann mal los.
Das Fahrgestell des Mercedes eSprinter und der Aufbau von Junge sind in besonders inniger Zweisamkeit verbunden. Denn die Kombination gibt es von Mercedes im Modell Van Solution aus einer Hand. Beim eSprinter mit Leichtbau-Koffer von Junge nicht etwa als Einheitsmodell, sondern in zahlreichen Varianten. Hier ist’s ein 3,5-Tonner mit Standard-Radstand, mittlerer Batterie von 81 kWh Kapazität und der kräftigeren Maschine mit 150 kW Leistung. Obendrauf sitzt ein 3,6 Meter langer Junge-Koffer mit den Bezeichnungen Lightstar und Ecobox. Was das heißt? Später, erstmal nach unten aufs E-Fahrgestell schauen.
Der Blick ins Untergeschoss zeigt mittig links wie rechts breite schützende Aluminiumprofile vor dem gewichtigen Batteriekasten. Gut zu erkennen ist ebenfalls das Heckmodul des eSprinter mit Vierpunkt-Aufhängung aus Aluminium, E-Motor, starrer aber veredelter De-Dion-Hinterachse sowie GfK-Blattfeder. Alles zusammen ein technischer Leckerbissen.
Bitte einsteigen – wer hat sich die verquere Position des Haltegriffs an der Tür ausgedacht? Die Mercedes-Türen schließen gewohnt schwer, aber dafür dicht. Der Eindruck drinnen: Sprinter pur. Viel Platz, auch für den arbeitslosen Kupplungsfuß. Hochwertige und vielfach verstellbare Sitze. Eine überkandidelte Lenkradtastatur, klassische und prima ablesbare Instrumente, elektronische Feststellbremse, praktischer Wählhebel am Lenkrad für die Fahrtrichtung. Eigenwillig ist die Doppeltaste für Start/Stopp und den Fahrmodus, bitte nicht verwechseln.
Der Mercedes eSprinter fährt als Testwagen wie gewohnt beladen vor, das aber ist ihm weder anzusehen, noch beim Fahren anzumerken. Das Sprinter-Kreuz ist gerade durchgedrückt, das Fahrverhalten auch unter Ballast komfortabel. Wenn auch nicht gar so flauschig wie beim Kastenwagen, denn die Vorderachse trägt hier bis zu 1,86 Tonnen und die Stabilisierung ist ebenso verstärkt wie die Feder der Hinterachse. Vorteil: Trotz des höheren Schwerpunkts liegt der eSprinter mit Koffer satt und sicher, neigt sich in Kurven nicht unangenehm zur Seite. Gewöhnung verlangt wie immer die etwas gefühllose Lenkung. Und bei voller Fahrt auf der Autobahn geht dem Mercedes bei kleinen unbedachten Lenkbewegungen etwas die Richtungsstabilität ab.
Nun heißt es anpacken, raus mit der Fracht im Heck, jetzt liegt der eSprinter stramm aber nicht hart oder gar ungehobelt, meldet jedoch üble Schlaglöcher recht deutlich. Prompt rührt sich unversehens die fürsorgliche MBUX-Begleiterin während einer Tour mit dem Hinweis „Achtung Schlagloch“. Weibliche Intuition? Aber da war doch nix? Egal, alles in allem entpuppt sich der komfortable Mercedes auch mit Kofferaufbau als angenehmer Geselle.
Er bevorzugt beim Start automatisch die Dynamikstufe „C“. Das bedeutet volle Lendenkraft und einen deftigen, wenn auch nicht explosiven Schub. Der eSprinter fährt ohne Krawall stilvoll an, macht mit knapp zwölf Sekunden für den Standardsprint auf 100 Sachen und sehr druckvoller Zwischenbeschleunigung seinem Namen alle Ehre. Darf’s etwas weniger sein? Das wäre Stufe „E“, maximal 75 Prozent Kraft, genügt ebenfalls. Rücken Minimalverbrauch und große Reichweite in den Mittelpunkt, heißt die Wahl „MR“, maximale Reichweite. Die Power sinkt auf höchstens 50 Prozent, der eSprinter fährt nicht an, er legt gelassen ab. Alles immer noch genug für Flachetappen und Leerfahrten. Es wird außerdem, je nach Jahreszeit, stromsparend weniger warm oder kühl an Bord.
Ebenfalls zur Wahl stehen Rekuperationsstufen vom Einpedal- bis zum Segelmodus. Der eSprinter legt beim Start eine mittlere Variante namens „D“ ein, das entspricht gefühlt der Bremswirkung in einem nicht zu hohen Gang. Und kann segensreich sein, denn eine Segeltour des leicht dahinrollenden Transporters führt im Anschluss von Tempobegrenzungen womöglich zu ungewollt teuren Foto-Aktionen per Blitzer. Der Koffer-eSprinter fährt sich also prima, jedenfalls im Vorwärtsgang. Obacht verlangt der Blick zurück durch die arg eng anliegenden Außenspiegel. Auch die seitens Junge montierte Rückfahrkamera hilft nur begrenzt, denn es fehlen mangels Anbindung an den Mercedes die beim Rangieren gewohnten Hilfslinien.
Im C-Modus und mit Standard-Rekuperation absolvierte der Mercedes die anspruchsvolle standardisierte Teststrecke beladen mit einem Schnittverbrauch von 32 kWh. Der vergleichbare Kastenwagen begnügte sich im Test mit sparsamen 25 kWh. Trotzdem verdiente sich der Fahrer so manches Sternchen in der Eco-Anzeige. Die Erklärung: Rund zehn Prozent beträgt der Zuschlag auf Kurzstrecke mit viel Stadt- und einer Prise Überlandanteil. Er steigt im reinen Überlandeinsatz auf etwa 15 Prozent und bei gelassener Autobahnfahrt mit Tempo 100 auf gut 20 Prozent. Drüber wechselt die Eco-Anzeige ihre Farbe von grün in warnendes Orange. Das hat seinen Grund: In beiden Fällen ist bei 120 km/h Schluss, aber in voller Fahrt schießt der Verbrauch des Koffers auf knapp 50 kWh empor, sofern der Verkehr mitspielt. Ein Drittel mehr als beim Kastenwagen. Ursache: eine üppige Stirnfläche, auch Angriffspunkte zwischen den Achsen.
Dabei gibt sich Aufbauer Junge mit der Aerodynamik reichlich Mühe, Stichwort Ecobox. Der Koffer zeigt vorn keine Ecken und Kanten, sondern auf der Stirnseite abgerundete Profile. Den Abschluss hinten bildet ein angedeuteter Spoiler. Hinzu kommt ein gekonnt angepasster Dachspoiler auf dem Fahrerhaus, 19 Kilo Mehrgewicht, die sich lohnen.
Koffer-Kenner schätzen die Qualitäten des streng quaderförmigen Aufbaus mit knapp 16 Kubikmeter Volumen. Ein Riesending angesichts einer Gesamtlänge des Transporters von lediglich 6,25 Meter. Zum Vergleich: Der knapp sechs Meter lange Mercedes eSprinter Kastenwagen mit dezent gewölbten Wänden fasst lediglich 10,5 Kubikmeter. Dazu gibt’s im Aufbau LED-Lichtleisten links und rechts unter dem lichtdurchlässigen GfK-Dach, seitlich Scheuerleisten, vorne einen Rammschutz und von Kopf bis Fuß Zurrleisten. Indes passt der Zugang mit Flügeltüren nicht zu jeder Transportaufgabe und die sperrige, ausziehbare Leiter sowie die Türverriegelung links verlangen nach etwas Kraft. Der Laderaum liegt leer exakt einen Meter über der Fahrbahn, beladen sind es 50 Millimeter weniger. Aber was gibt es nicht alles an Hilfsmitteln: breite Trittstufen, Ladebordwände der einschlägigen Hersteller oder eine Seitentür.
Doch Vorsicht, mit den Extras summieren sich die Kilos. Wobei der Junge-Koffer von Haus aus zu den Fliegengewichten zählt. Stichwort Lightstar mit Leichtbaupaket, das heißt Hilfsrahmen und Außenrahmen aus Aluminium, dazu 14 Millimeter dünne Wände mit einer Wabenkonstruktion aus Polypropylen (PP) und ein ebensolcher Boden mit rutschhemmendem Belag. Ergebnis ist ein superleichter Raumriese mit lediglich rund 400 Kilogramm Gewicht. Das komplette Kampfgewicht liegt sogar minimal unterhalb des etwas kleineren eSprinter als Kastenwagen. Macht beim Testwagen gewogen 2,74 Tonnen, für Fahrer und Fracht bleiben 760 Kilo Luft.
Das aber genügt ja für eine ganze Reihe Einsätze. Auch gibt es schließlich die Option einer kleineren und somit leichteren Batterie für Kurzstreckenbetrieb, dazu die Möglichkeit einer gewichtigen Ausführung mit höherer zulässiger Gesamtmasse, aber auch den bekannten Einschränkungen. Die Matrix des eSprinter macht vieles möglich.
Was bleibt vom Mercedes eSprinter ist der Eindruck einer ausgesprochen gepflegten Fortbewegung. Vorne gibt es dank Spoiler und abgerundeten Kanten kaum Windgeräusche, von hinten dringen kaum Antriebsgeräusche durch, der eSprinter singt sein sehr leises Lied und brummt mitunter freundlich. Vorteil des Antriebs im Bereich der Hinterachse, der ebenfalls zu einem überraschend kleinen Wendekreis führt. Eine kurze Konferenz mit MBUX schließt den Test ab. „Hallo Mercedes.“ „Was kann ich für Dich tun?“ „Magst Du mich als Fahrer?“ „Ich finde Dich super.“ Danke.
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Randolf Unruh
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