Experten-Probefahrt: Iveco eDaily
Im Gesicht trägt er ein triumphierend-breites Grinsen. Als wüsste der Iveco eDaily, dass nun seine Stunde geschlagen hat. Hat ja auch lange gedauert. Jahrelang führte der elektrisch angetriebene große Transporter ein Schattendasein. Ausgerechnet dem E-Pionier fuhr der Nachwuchs um die Ohren. Aber mit seiner eigenwilligen Technik – Stichwort Zebra-Batterien – hatte er sich ins Abseits manövriert. Nun aber wird alles anders.
Nur einen Steinwurf entfernt vom Iveco-Showroom in Turin hat sich ein namhafter amerikanischer Hersteller von Elektro-Autos niedergelassen. Genauer gesagt: DER namhafte US-Hersteller. Zwei Welten: Der eine weiß, wie E-Antrieb für flotte Flitzer funktioniert. Der Iveco zeigt mit dem eDaily, wie er für taffe Transporter klappen kann. Das Haifischgrinsen, noch mehr betont durch blaue Lamellen im Kühlergrill, kommt nicht von ungefähr. Nur zu gern würde er sein Segment ebenso umpflügen wie die Pkw-Kollegen das ihre.
Vor dem Start lohnt ein wenig Theorie. Sie gehört ohnehin beim Erwerb eines Stromers mit Blick auf Varianten, Nutzlast und Reichweite zur Pflicht. Im Kontrast zur Magerkost anderer E-Hersteller in den vergangenen Jahren hat Iveco für den eDaily eine üppige Speisenkarte entwickelt. Alle Radstände und alle Kastenwagen sowie Fahrgestelle sind elektrifiziert lieferbar. Es gibt ein, zwei oder drei Batteriepakete mit 35 und 70 sowie 105 kWh nutzbarer Kapazität. Sogar ein Nachschlag ist möglich, bei größerem Streckenbedarf sind Batterien nachrüstbar, sofern es der Platz zwischen den Achsen zulässt. Obendrauf packt Iveco ab zwei Batteriepaketen eine vorbildliche Garantie auf bis zu 250 000 Kilometer und 80 Prozent Kapazität.
Ebenso lohnt der Blick auf technische Kniffe. Die kompakte Einheit aus Motor und Einganggetriebe mit fester Übersetzung ist hinter den Batterien angedockt und treibt über eine kurze Kardanwelle eine konventionelle Daily-Hinterachse aus den Verbrennern an. Mit diesem Dreh sind unterschiedliche Achsübersetzungen möglich, das gibt es sonst nirgendwo. Somit lässt sich die Motorkraft von maximal 140 kW und 400 Nm – beim eDaily mit einer Batterie reduziert auf 100 kW und 300 Nm – wie bei einem klassischen Verbrenner einsatzgerecht zuschneidern.
Mittels der passenden Achse meistert der eDaily eine Anfahr-Steigfähigkeit von rund 30 Prozent beladen – Hut ab. Er bietet angemessene Fahrleistungen auf anspruchsvollen Bergetappen, trägt bis zu 7,2 Tonnen zulässige Gesamtmasse und schleppt eine Anhängelast von maximal 3,5 Tonnen. Dazu liefert Iveco Nebenabtriebe in drei verschiedenen Leistungsstufen, zum Beispiel für Kipper oder Kühler. Alles wie im richtigen Daily-Leben eben.
Zusätzlich kehrt sich ein Nachteil des Daily als Kastenwagen in einen Vorteil um. Bringt seine klassische Rahmenbauweise im Vergleich zu selbsttragenden Karosserien üblicherweise arg viel Gewicht auf die Waage, so liegt der Fall hier anders: Alle wesentlichen Batterie- und Antriebskomponenten sind innerhalb des schützenden Rahmens angesiedelt, ein gewichtiger Kokon um die E-Weichteile wie anderswo kann entfallen. Die Batterien selbst lohnen ebenfalls einen Blick. Die Akkupakete wiegen jeweils 260 Kilo. Ihre Zellen stammen von der deutschen Tochter des US-Herstellers Microvast. Beachtlich sind sowohl die Energiedichte von 265 Wh/kg auf Zellebene als auch die sehr hohe nutzbare Kapazität von 95 Prozent der nominellen Angabe.
Was heißt dies im Arbeitsalltag? Laut der realitätsnahen WLTP-Norm fährt der 3,5-Tonner als Kipper mit einem Batteriesatz und halber Nutzlast etwa 120 Kilometer weit. Zu wenig? Mit zwei Batteriepaketen schafft er 235 Kilometer. Voll ausgeladene 4,25- bis 7,2-Tonner erzielen je nach Batteriebestückung 110 bis 300 Kilometer. Geladen wird an der Wechselstrom-Wallbox mit 11 kW, auf Wunsch dürfen es 22 kW sein. Als weitere Option sind Gleichstrom-Schnellladungen mit maximal 80 kW möglich. Nun ja: Was Iveco schnell nennt, ist dann doch eher matt.
Ehe nun der Kopf vor lauter Zahlen und Fakten schwirrt, geht’s fix hinein in das Fahrerhaus eines Pritschenwagens und hinaus auf die Straße. Unten geben zwei Batteriepakete Saft. Oben auf der Ladefläche des 3,5-Tonners mit einer Nutzlast von 1,3 Tonnen verteilt sich eine knappe Tonne Ballastsäcke. Auch wenn im eDaily nichts mehr zündet: Der Start erfolgt nach alter Väter Sitte über einen Zündschlüssel. Der Tacho reicht optimistisch bis 150 Sachen, das Powermeter informiert wie in E-Transportern gewohnt über die Rekuperation im Schiebe- und Bremsbetrieb und die abgerufene Leistung. Der Spitzenbereich bis 140 kW ist gestrichelt und als „Hi Power“ gekennzeichnet. Das bedeutet eine Maximalleistung für bis zu zwei flotte Minuten an extremen Steigungen oder beim Überholen. Zwischen den Rundinstrumenten zeigt ein Display den Ladezustand und die Reichweite an.
Fahrtrichtung und die Rekuperationsstufen wählt der Fahrer über einen kurzen Knauf à la Automatikgetriebe. Diese Wahl der Verzögerung vom Segeln bis zum Einpedalmodus ist ein wenig kompliziert. Zumal auch für den Vortrieb auf Tastendruck drei Varianten zur Verfügung stehen. Damit spricht der eDaily wahlweise furios, gemäßigt oder etwas lethargisch an. Die Ökovariante erreicht 90, die Vollwert-Powerstufe 120 Sachen, ausgenommen die ohnehin abgeregelten schweren Kaliber, das passt. Wer einfach alles in der Normalstufe belässt, macht wenig falsch. Damit zieht der beladene eDaily ebenso gelassen wie nachdrücklich von dannen und verzögert ähnlich einem Diesel beim Gaswegnehmen.
Das jahrhundertealte Turiner Straßenpflaster auf der ersten Proberunde filtert der Transporter souverän, unterstützt von einer luftgefederten Hinterachse in Soft-Einstellung. Die elektrische Lenkung trifft das rechte Maß aus Leichtgängigkeit und Präzision. Der Wendekreis ist überschaubar, Vorteil Heckantrieb. Bei niedrigem Tempo lässt sich der Iveco eDaily im Kriechmodus wie mit einem Automatikgetriebe spielerisch beherrschen. Im innerstädtischen Trubel rollt er ungewohnt leise dahin – prompt erschrickt sich eine Seniorin, als der eDaily für sie am Zebrastreifen anhält. Vielleicht ist sie aber auch von Transporterfahrern kein höfliches Benehmen gewohnt.
Auch drinnen im Fahrerhaus geht es leise zu, kaum ein Pfeifen oder Sirren ist zu vernehmen, abermals Vorteil Heckantrieb. Und der Stromverbrauch? Nach einer Dreiviertelstunde hartem Stadtverkehr hat der eDaily gerade mal rund 15 Kilometer zurückgelegt und lediglich drei Prozent seiner Batteriekapazität eingebüßt. Das entspricht einem Energieverbrauch von kaum mehr als 20 kWh. Täuscht der Eindruck, oder zwinkert er bei seiner Rückkehr kurz den schicken E-Flundern auf der anderen Straßenseite zu? Unübersehbar ist jedenfalls sein breites Grinsen.
Alternativen zum eDaily? Vielleicht der Ford E-Transit: Experten-Test: Ford-E-Transit
Oder der kommende Mercedes eSprinter: Mercedes lädt den eSprinter auf


