Experten-Probefahrt: der neue Renault Trafic E-Tech Electric
Manche Dinge müssen reifen. Wie ein guter französischer Käse oder ein feiner Bordeaux. Vielleicht auch wie ein E-Transporter? Der Trafic E-Tech jElectric edenfalls hat einen langen Anlauf und Umwege genommen. Als Prototyp war er im Spätsommer 2021 noch ein wenig verschämt erstmals auf der Freizeitfahrzeugmesse Caravan-Salon in Düsseldorf. Ausgerechnet in einem Umfeld, das auf große Reichweiten Wert legt und wegen gewichtiger Einrichtungen schweren Batterien misstraut. Ein Jahr später robbte sich der Trafic E-Tech mit seiner offiziellen Weltpremiere auf der IAA weiter heran. Nun ist der Stromer angekommen, Renault komplettiert sein E-Angebot, avanciert mit Kangoo Rapid, Trafic und Master E-Tech Electric zum Vollsortimenter.
Der lange Anlauf des Trafic E-Tech erstaunt, denn Renault greift bei den Komponenten für Antrieb und Batterie auf Bewährtes im Regal. Der Akku mit überschaubarer Kapazität von 52 kWh arbeitet bereits im größeren Master E-Tech. Die E-Maschine mit 90 kW (122 PS) und 245 Nm Drehmoment summt im kleineren Kangoo Rapid E-Tech. Das Resultat ist ein E-Transporter, der die Technik seiner Geschwister aufträgt. Oder ein perfekter Baukasten.
Geladen wird anfangs nur an der Wallbox mit elf oder 22 kW, ein Schnelllader mit 50 kW wird folgen, wirklich flott ist anders. Die Steckdose findet sich auf der Fahrerseite unten an der B-Säule. Das ist die klassische Transporter-Tankposition und passt als Stromer nicht überall. Trotz der überschaubaren Batteriekapazität nennt Renault nach WLTP-Norm eine Reichweite von knapp 300 Kilometern. Ursache der optimistischen Angabe ist unter anderem die Tempobegrenzung des Stromers auf 110 Sachen. Nochmals rund zehn Prozent Reichweite gewinnt der Renault auf Wunsch mit einer weiteren Reduzierung. Er ist dann mit maximal 90 km/h recht matt unterwegs. Das passt für die Stadt und das Umland. Verlängert dort allerdings Überholmanöver. Und auf der Autobahn drücken bergab die Lkw mit Schwungspitzen – Ärger ist programmiert.
Auf der Habenseite der kompakten Batterie steht eine sehr ansehnliche Nutzlast. Der Kastenwagen stemmt bei 3,1 Tonnen zulässiger Gesamtmasse im Bestfall beachtliche 1,1 Tonnen. Hinzu kommen gut 900 Kilo Anhängelast. Die Angelegenheit beeinflusst auch den Preis, schließlich ist die Batterie mit Abstand die teuerste Komponente eines E-Transporters. Indes klingt ein Einstandspreis von netto 47 800 Euro für den Kastenwagen nicht nach Sonderangebot. Elektrisierender ist das Programm: Es gibt den Renault als Kastenwagen lang und mit etwas Verzögerung auch kurz. Dazu gibt’s wahlweise ein Hochdach, eine Kastenwagen-Doka, sogar ein Plattform-Fahrgestell für Aufbauten.
Nun wird’s Zeit, den E-Transporter auf die Strecke zu schicken. Die Bedienung könnte nicht einfacher sein: Tastendruck zum Start, Fahrtrichtung mit einem klassischen Wählhebel aussuchen und die inzwischen schon etwas altmodisch anmutende mechanische Handbremse lösen. Gelassen nimmt der Renault Fahrt auf, er verzichtet auf die Explosivität manch anderer E-Transporter. Die Fahrt ist nicht eilig, die Fuhre leer oder teilbeladen? Antippen der Eco-Taste reduziert die Motorleistung von 90 auf 60 kW. Das spart Strom, falls der Fahrer sein Temperament nicht von alleine zügelt. Große Instrumente informieren über den wesentlichen Stand der Dinge. Sie zeigen, wie ästhetisch und perfekt ablesbar herkömmliche analoge Anzeigen sein können. Herkömmlich ist auch der Umgang mit der Klimatisierung: drei Drehregler, wenige Tasten – geht doch, nichts versteckt sich in Menüs.
Mit 300 Kilogramm im Heck und besetztem Beifahrer-Doppelsitz ist der Renault halb ausgeladen, er wiegt sich sanft, aber nicht zu weich in den Federn. Und siehe da, Renault kann endlich auch Lenkung: Sie ist sympathisch straff abgestimmt und arbeitet zielbewusst. Auf unterschiedliche Rekuperationsstufen verzichtet Renault. Die gewählte Ausführung erinnert an die gewohnte Bremswirkung bei eingelegtem Gang, passt. Somit fährt sich der Trafic E-Tech sympathisch unspektakulär, sehr geschmeidig, verlangt keine nennenswerte Gewöhnung. Auch aus Richtung Motorraum sind keine Sing- oder Pfeifgeräusche der E-Technik zu vernehmen. Gelassenheit kehrt ein. An Bord herrscht nicht einmal angesichts des qualmenden vierrädrigen Altmetalls Aufregung, das sich während der Proberunde plötzlich vor den Trafic E-Tech Electric setzt und den sauberen Transporter einnebelt. Fix die Umlufttaste gedrückt, ausgeschert und dem Übeltäter die Schlussleuchten gezeigt. Welch ein Kontrast zwischen übelriechender Vergangenheit und sauberer Gegenwart und Zukunft. Auch an anderer Stelle. Für ein paar Einsatzfotos schnurrt der Trafic E-Tech flüsterleise auf einen Betriebshof. Der knurrig-knorrige Patron herrscht über eine Niederlassung eines Lieferanten von Holzscheiten und Pellets. Und hat Vorlieben: Am Rande des Firmengeländes harrt ein halbvergessener schrottiger Fuhrpark von vorgestern einer Wiederbelebung, die vermutlich nie einsetzen wird. Ganz anders als das langsame Heranreifen des Renault Trafic E-Tech Electric.
Genügt ein E-Lieferwagen? Das wäre die Alternative: Experten-Test: Renault Kangoo Rapid E-Tech



