Experten-Test: Mercedes eCitan
Es ist nicht ganz unbekannt: Mercedes Citan und Renault Kangoo Rapid sprudeln aus der gleichen Quelle. Eine Gemeinschaftsentwicklung, so heißt es. Wobei die Gemeinschaft durchaus so aussieht, dass Renault seinen Lieferwagen vermutlich aus eigener Kraft zustande gebracht hätte. Es aber sicherlich keinen Mercedes Citan ohne Partner geben würde. In der Transporterszene ist man da relativ unempfindlich unterwegs. Kenner der Materie sind sich außerdem sicher, dass es ohne Mercedes als Kopiloten keinen so guten Kangoo Rapid gäbe. Die erste Citan-Generation musste ohne Stromer auskommen. Jetzt startet der Mercedes eCitan für all jene, die einen E-Lieferwagen mit Stern bevorzugen. Weil er besser in den vorhandenen Fuhrpark passt, die Werkstatt näher liegt, ein sympathisches Angebot lockt oder mercedestypische Eigenschaften gefragt sind.
Sie bestehen zunächst in einem eigenständigen Design der tiefen Schnüffelnase und der Scheinwerfer. Die Verwandtschaft zu A- und B-Klasse ist unverkennbar. Weniger markant sind die dezente Rückenfalte, der andere Stoßfänger hinten und die Grafik der Rückleuchten, geschenkt. Augenfällig: die sogenannten Designräder. Was nach Alu aussieht besteht aus günstigerem, attraktiv geformtem Stahl – Alus kann man sich getrost sparen. Schließlich ist ein eCitan mit netto mindestens 36.220 Euro (Pro: 38.713 Euro, Stand 2023) teuer genug. Schmerzhaft im Vergleich zum Einstiegs-Citan als Benziner. Und knapp sieben Prozent teurer als der technisch identische Renault.
Da sich Mercedes im Transportersegment zwar nicht als Luxus- aber immerhin als Premiummarke versteht, passt zur Verpackung auch noch ein leuchtender Lack namens Loranditrot. Die Bezeichnung ist weit weniger verquer, als sie klingt: Lorándit ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der Sulfide und Sulfosalze, weiß das Internetlexikon Wikipedia. Und weist darauf hin, dass frische Proben von Lorándit von scharlachroter Farbe mit metallischem Glanz sind. Soll er also glänzen, der Stromer mit Stern.
Drinnen fühlen sich die Sympathisanten des Sterns sofort zuhause. Runde Luftdüsen in Jet-Optik, klassische analoge Instrumente inklusive Mittendisplay à la Sprinter, die gewöhnungsbedürftige Klaviatur des Multifunktionslenkrads, die Bedienfelder links und in der Mittelkonsole, der altbekannte komplexe Ingenieurshebel für Blinker, Fernlicht und sämtliche Scheibenwischer, der Wählhebel in der Mittelkonsole – Mercedes pur. Alles eingepackt in vergleichsweise hochwertige und gut verarbeitete Materialien. Auch MBUX steckt im eCitan und gehorcht aufs Wort – nun ja, meistens. Der Monitor in Cockpitmitte ist von überschaubarer Größe und die Kartendarstellung der Navigation unübersichtlich. Also: „Hey Mercedes, Navigation mit Sprachausgabe“ – na also, schon besser.
Gemeinsamkeiten mit dem Zwillingsmodell? Bequeme Sitze, wenn auch etwas kurz und mit knapper Längsverstellung, die Mittelkonsole mitsamt dem klotzigen Ablagekasten und die großen Außenspiegel. Und wohin mit dem Ladekabel? Es fliegt im Laderaum herum oder der Beifahrer tritt es mit Füßen. Das Thema Sicht verdient genauere Betrachtung. Die nach unten breit auslaufenden A-Säulen behindern den Blick nach schräg vorn. Nach hinten steht der sehr breite Steg zwischen den beiden Fenstern in der Kunststoff-Trennwand zum Laderaum im Weg. Schön wäre es, gäb’s einen digitalen Innenspiegel, wie beim französischen Kompagnon oder im größeren Vito. Pustekuchen. Dabei ist der erste Schritt schon absolviert: Bei Vorwärtsfahrt lässt sich die Rückfahrkamera zuschalten. Allerdings wird der Bildschirm ab 30 km/h wieder dunkel – Sicherheitsgründe meldet ein Text.
Also Test des Parkassistenten. Er sucht und findet die Lücke, lenkt rückwärts hinein. Angesichts des Abstands zum Bordstein runzelt der Fahrprüfer allerdings die Stirn. Und lässt den Mercedes danach automatisch nach vorne ausparken.
Zurück zu handfesten Themen. Unter der Haube steckt ein fremderregter Synchronmotor. Wie erregt der Bursche ist, wird beim Tritt aufs Fahrpedal deutlich: Rasant fegt der Mercedes aus den Startlöchern. Kennt auch bei der Zwischenbeschleunigung kein Halten. Fährt seinen Verbrennerkollegen mühelos um die Ohren. Um dann bei 132 Sachen sanft abzuregeln.
Eine gewisse Sanftheit zählt bei allem Temperament ohnehin zu den Grundzügen des eCitan. Er fährt selbst für einen Elektriker leise, kennt kein Pfeifen oder Singen. Bereits leer benimmt sich das Fahrwerk ausgesprochen zivilisiert. Beladen legt der Komfort noch zu, ohne dass der Mercedes verweichlicht. Allenfalls wippt und nickt er ein wenig um die Querachse. Zwar verträgt der eCitan klaglos hohe Kurvengeschwindigkeiten, doch er lädt eher zu gelassener Fahrweise ein.
Dies kommt dem Stromverbrauch zugute. Laut WLTP-Norm schluckt die getestete Variante im Schnitt 18,9 kWh. Voll ausgeladen unterbot der eCitan diesen Wert mit 18,0 kWh auf der anspruchsvollen Teststrecke – Heizung und Klimaanlage abgeschaltet, versteht sich. Mit Extremwerten von nur 12,0 kWh auf der Kurzstrecke und 28 kWh in vollem Galopp. In der Regel landet er zwischen etwa 15 und knapp über 20 kWh. Der zentrale Monitor präsentiert den Stromkonsum auf Wunsch detailliert. Wer seinem Temperament nicht traut, drückt auf die Eco-Taste. Das reduziert die Motorleistung auf 60 kW und auch das Maximaltempo. Zusätzlich lässt sich mit dem Wählhebel die Rekuperation einstellen, vom Segelmodus bis zur Einpedal-Fahrweise. Die Normalstellung in Fahrstufe „D“ bremst indes kräftig genug.
Aus all dem resultiert angesichts einer nutzbaren Batteriekapazität von 45 kWh eine Alltagsreichweite von rund 250 Kilometern. Serienmäßig lädt der eCitan mit 11 kW an der Wallbox, Auf Wunsch schluckt er mit 22 kW. Schnellladen bedeutet maximal 80 kW. Wobei das Ladetempo schon nach halber Strecke sehr deutlich und nach etwa dreiviertel gefüllter Batterie stark nachlässt. Für das Ladekabel ist kein Platz vorgesehen, also wird es im Beifahrer-Fußraum mit Füßen getreten oder fliegt im Laderaum herum.
Das Batteriepaket des eCitan wiegt schwer, daher durfte der Testwagen gerade mal eine halbe Tonne Fracht schleppen, inklusive Fahrer wohlgemerkt. Wer mehr transportieren will, muss zur tragfähigeren Lang-Ausführung greifen. Oder zum Anhänger, denn der eCitan darf erstaunliche 1,5 Tonnen ziehen. Zum Vergleich: Der bisherige eSprinter kennt den Begriff Anhängelast nicht einmal.
Hinter den Blechwänden verbirgt sich ein Laderaum von 2,5 Kubikmetern. Realistisch gerechnet, das schafft nicht jeder Hersteller. Das Heckportal misst in der Breite 1260 Millimeter, der Abstand zwischen den Radkästen 1250 Millimeter. Gutwillige Staplerfahrer zirkeln eine Europalette also quer hinein. Obacht: Das Portal verjüngt sich nach oben, mit hoher Beladung wird’s dann eng.
Und Lorándit? Mit der Zeit läuft das Material häufig bleigrau an, so der WikipediaHinweis. Verwandelt sich der Mercxedes mit den Jahren etwa in eine graue Maus, wie es der Vorgänger von Beginn an war? Angesichts der guten (Mercedes-)Eigenschaften gehen wir mal optimistisch davon aus, dass dem roten eCitan dieses Schicksal erspart bleibt.
Abmessungen (L/B/H): 4.498/1.856/1.820 mm
Radstand: 2.716 mm
Wendekreis: 11.750 mm
Laderaum (L/B/H): 1.810/1.520/1.260 mm
Breite zw. den Radkästen: 1.248 mm
Ladekapazität: 2,52 m³
Leergewicht Testwagen 1.730 kg
Nutzlast 500 kg
Zulässiges Gesamtgewicht 2.230 kg
Anhängelast bei 12 % Steigung 1.450 kg
Zul. Zuggesamtgewicht 3.500 kg
Batterie: Lithium-Ionen, netto 45 kWh
Aufladung: Wallbox 11 kW, optional Ladestation 22 kW, Schnellladung max. 80 kw
Motor: E-Motor vorn
Leistung: 90 kW (122 PS)
Drehmoment: 245 Nm
Getriebe: Einganggetriebe, feste Übersetzung
Antrieb: auf die Vorderachse
Beschleunigung: 0-50/100 km/h 4,0/11,5 s
Elastizität (Kickdown):
60 – 80 km/h 3,2 s
60 – 100 km/h 6,7 s
80 – 120 km/h 9,6
Höchstgeschwindigkeit 132 km/h
Innengeräusche:
Stand/50/80/100 km/h -/58/62/64 dB(A)
Höchstgeschwindigkeit 68 dB(A)
Verbrauch:
18,9 kWh/100 km WLTP kombiniert
CO2-Emission 0 g/km kombiniert
Teststrecke beladen: 18,0 kWh/100 km
Testverbrauch beladen: min./max. 12,0-28,0 kWh/100 km
Grundpreis (exkl. MwSt.): 36.220 Euro
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