Der vollelektrische Lieferwagen Renault Kangoo Rapid E-Tech Electric ist das erste Modell eines Trios von drei Marken. Nicht ganz billig, aber ganz schön gut.
Der Lieferwagen ist kompakt, seine Bezeichnung riesenlang, hinzu kommt eine Patchworkfamilie: Der vollelektrisch angetriebene Renault Kangoo Rapid E-Tech Electric ist Teil einer Dreierkoalition. Die aber sind heikel, wir haben es anhand der Politik gelernt. Mal heißt es zwei gegen einen, mal jeder gegen jeden. Man weiß nie so recht, welches Licht an der Ampel hektisch blinkt, oder ob eine Birne defekt ist, vielleicht auch mehrere. Ob sich ein Dreamteam findet, oder der Laden auseinanderfliegt. Hier heißt das Lieferwagen-Trio in alphabetischer Reihenfolge Mercedes, Nissan und Renault. Die Führungsarbeit übernimmt Renault, schon wegen der Fertigung in Frankreich. Also her mit dem Kangoo Rapid E-Tech Electric. Ihm folgen auf dem Fuße der naturidentische Nissan Townstar EV und der technisch deckungsgleiche Mercedes eCitan.
Längsverstellung etwas knapp, sonst aber viel Platz an Bord, viele Ablagen und gute Verarbeitung.
Gepflegter Auftritt, aber ein ambitionierter Preis
Der erste Eindruck: Eine unspektakuläre aber gepflegte Erscheinung. Mit Ausnahme eines winzigen Schildchens an der rechten Hecktür weist nichts auf die Besonderheiten des Antriebs des Kangoo Rapid E-Tech Electric hin. Im Unterschied zur Preisliste. Sie beginnt bei stolzen 33 990 Euro netto, gut 50 Prozent mehr als für den Verbrenner, Förderungen außer Acht gelassen. Sehr viel Geld für einen kompakten Lieferwagen. Und wer das ganze Füllhorn der Varianten und Sonderausstattungen über dem Lieferwagen ausschüttet, nähert sich gar der Schallmauer von 50 000 Euro.
Die ambitionierten Preise schrauben Ansprüche in die Höhe. Der Renault erfüllt viele, zunächst beim Antrieb. 90 kW leistet die E-Maschine, bringt es auf 245 Nm Drehmoment. In der Realität fährt der Stromer seinen Dieselkollegen mühelos davon. Der agile Antritt ist geprägt von Eleganz und spielerischer Leichtigkeit. Nichts pfeift, singt oder summt im Cockpit, ein Leisetreter. Bei höheren Geschwindigkeiten treten dezente Windgeräusche in den Vordergrund, eine lässliche Sünde.
Verbrauch angemessen, Eco spart
Schluss ist bei exakt 132 Sachen, vernünftig. Denn Tempo kostet Strom. Unter günstigen Umständen mit wenig Fracht und Gelassenheit am Steuer landet der Kangoo Rapid E-Tech Electric bei etwa 16 bis 18 kWh auf 100 Kilometer. Ungeduldige Fahrer, Überland- und Autobahnstrecken sowie Ballast im Heck treiben den Konsum auf rund 20 bis 25 kW/h, Volldampf auf gut 30 kW/h. Macht beladen im Schnitt exakt 21 kW/h auf der standardisierten Hausstrecke der Redaktion.
Renault wirkt übermäßigem Stromdurst mit einer Eco-Taste für Sparfahrt entgegen. Sie beschränkt die Leistung auf 60 kW und die Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 115. Beides genügt auch beladen im Alltag. Wer will, nutzt außerdem drei Rekuperationsstufen. Es geht aber problemlos ohne, denn die normale Fahrstufe „D“ entspricht im Schiebebetrieb der Verzögerung mit eingelegtem Gang – passt.
Klobiger Wählhebel, elektrische Feststellbremse, klassische Drehregler für die Klimatisierung, im Fußraum liegt das Ladekabel.
Digitale Instrumente, knapper Akku, wenig Nutzlast
Detailliert betrachten kann der Fahrer die Folgen seines Tuns im digitalen Cockpit des Kangoo Rapid E-Tech Electric. Powermeter, Reichweite in Kilometern, Akkustand in Prozent sowie als Viertelkreis à la Tankanzeige, alles da. Wer’s ganz genau nimmt, verfolgt den Verbrauch im mittigen Display. Und mitunter meldet der Renault Irritierendes: „Keine E-Ladesäule in Reichweite“, trotz reichlich Strom an Bord und Lademöglichkeiten in der Umgebung.
Also besser den Akkustand im Auge behalten. Die nutzbare Kapazität von 45 kWh ist für Kurzstrecken gut bemessen. Auf längeren Etappen heißt es zwischenladen. Serienmäßig bunkert der Renault Strom mit 11 kW Ladeleistung, das bedeutet laden und leiden. Die optionalen 22 kW sind unterwegs keine große Hilfe. Also in Schnellladetechnik investieren. Maximal 80 kW sind zwar auch nicht rasant, zumal sich der Renault auf den letzten Lademetern viel Zeit lässt. Aber akzeptabel für ein paar Zusatzkilometer, als Langstreckler ist der Kangoo E-Tech nicht gedacht. Das mitgeführte Ladekabel wird vor dem Beifahrersitz mit Füßen getreten, denn dafür ist kein sinnvoller Platz vorgesehen.
Europalette quer im Heck, Scheunentor namens Open Sesame
Das Batteriepaket im Keller des Renault wirkt sich nachteilig auf die Nutzlast aus: Eine halbe Tonne Zuladung inklusive Fahrer ist sehr überschaubar. Umso erstaunlicher, dass Renault dem Stromer 1,5 Tonnen Anhängelast zubilligt. Positive Seite der gewichtigen Akkus ist ein bereits leer guter Fahrkomfort. Selbst grobe Unebenheiten steckt der Renault gekonnt weg. Auch beladen gibt er sich wenig Blößen, auffällig sind allenfalls Wipp- und Nickbewegungen der Karosserie, als befände sich die Fuhre in schwerer See. Aber auch dann hält der Lieferwagen dank seiner fast schon spitzen Lenkung Kurs. Liegt in flotten Kurven sehr sicher. Und kommt zügig zum Stehen: Im Unterschied zum Verbrenner spendiert Renault auch der Hinterachse Scheiben.
Und die generellen Eigenschaften des Kangoo Rapid E-Tech Electric? Von hinten nach vorn: Die Erweiterung der Hecktüren auf 180 Grad funktioniert etwas fummelig. Der Abstand zwischen den Radkästen beläuft sich auf 1250 Millimeter, Staplerfahrer mit Ehrgeiz zirkeln die Europalette daher quer in den Frachtraum. Sogar zwei Ladungsträger hintereinander haben Platz, doch Vorsicht bei hoher Beladung, das Einfallstor im Heck verjüngt sich nach oben. Renault hat außerdem ein Faible für lange Güter. Da wäre der altbekannte Trick der Verlängerung des Laderaums mittels schwenkbarer Trennwand und Klappsitz. Funktioniert gut, nur der obere Fixpunkt am Klappgitter ist umständlich. Investiert der Eigner einen Tausender in „Open Sesame“, entfällt auf der Beifahrerseite sogar die B-Säule, öffnet sich ein riesiges Ladetor.
Die Europalette passt auch quer zwischen die Radkästen, recht knappe Nutzlast, indes überraschend hohe Anhängelast
Digitale Instrumente und Innenspiegel
Vorn in der Kabine des Kangoo E-Tech Electric geht es komfortabel zu. Zwar würden Langbeiner den Sitz gerne weiter nach hinten verstellen. Doch die Qualität des Gestühls, das Raumgefühl, die Ablagen in allen Formaten einschließlich Schublade rechterhand, auch Stecker für elektronisches Gerät – passt. Ebenso die Bedienung mit Drehreglern fürs Klima und Lenkradtasten, die richtig rasten. Die digitalen Instrumente lassen kaum Wünsche offen. Die Materialqualität ist angemessen, die Verarbeitung gut. Allenfalls wirkt das Interieur ein wenig düster.
Plus und minus wechseln sich im Kapitel Sicht ab. Die unten breit auslaufenden A-Säulen stören. Andererseits gibt’s große Außenspiegel mit Weitwinkelfeldern. Wirkt das Bild der Rückfahrkamera etwas matt, so überzeugt der optionale Rücksichtassistent – ein digitaler Innenspiegel – mit einem knackscharfen Monitor anstelle des Innenspiegels. Das Rudel der weiteren Assistenten verrichtet seine Dienste wie im wirklichen Leben: mal mehr und mal weniger motiviert, insgesamt sehr ordentlich. So wird’s auch bei den anderen Mitgliedern der Dreierkoalition funktionieren, denen der Renault Kangoo Rapid E-Tech Electric als erster unter (fast) Gleichen schneidig knapp die Vorfahrt genommen hat. Bei einer Ampel leuchten eben nie alle drei Lampen gleichzeitig.
Randolf Unruh
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ANGELIKA EMMERLING
Randolf Unruh
Renault