Experten-Test: Renault Kangoo Rapid
Rückblick: Als spindeldürres Kerlchen kam die erste Generation des Renault Kangoo vor einem Vierteljahrhundert auf die Welt. Einer der ersten modernen Lieferwagen ohne Rucksack-Aufbau, mit Karosserie aus einem Guss. Geboren in einer Ära, in der man hinter dem Steuer noch Unrasierte mit Baskenmütze und Gauloises im Mundwinkel vermuten konnte. Die zweite Kangoo-Generation entwickelte sich zum Pummelchen, pausbäckig und mit großen Kinderaugen. Man sah ihr selbst als Kastenwagen die liebenswürdige Familienkutsche an. Jetzt ist der Renault als Kangoo Rapid in dritter Generation erwachsen geworden. Mit selbstbewusstem Gesicht, dynamischer Linienführung und stämmiger Statur. Zum Test hat er sich fein angezogen, mit Metallic-Lack, zarten Chromstreifen im Gesicht, dazu eine markante Beplankung der Stoßfänger.
Wobei der Renault nicht einsam vorfährt – was darf’s denn sein, Renault Kangoo Rapid, Mercedes Citan oder Nissan Townstar? Alle kommen aus dem Renault-Werk in Maubeuge/Frankreich. Der Mercedes Citan hebt sich von seinen Kollegen deutlich ab: eigene Nase, eigenständiges Heck, Planken an der Seite, drinnen ein Mercedes-Cockpit von der Grundform der Armaturentafel über Lüftungsdüsen, Instrumente und Monitore bis zur Hebelei und Lenkradtastatur. Sogar die Sitze tragen eigenständige Polster. Der Kombi namens Tourer erhält eine individuelle Fahrwerksabstimmung. Mit der T-Klasse legt Mercedes sogar noch was Feines für die Familie auf. Technik und Rohbau, auch Seitenteile und Scheiben sind identisch zum gemeinsam entwickelten Renault Kangoo Rapid. Er behält sich exklusiv die durchgehende Öffnung ohne B-Säule vor. Weniger empfindlich ist Nissan, der neue Townstar ist optisch nahe am Renault angesiedelt. Er löst den Nissan NV250 ab, erst zwei Jahre vor Toresschluss vom Kangoo II abgeleitet. Auf der Strecke bleibt ebenfalls die etwas skurril anmutende Nissan-Eigenentwicklung NV200. Ein Basismodell, drei Marken, das bringt Stückzahlen und senkt die Kosten.
Der Franzose aber gehört zu den Urmetern der Szene, er ist und bleibt trotz gemeinsamer Entwicklung das Original. 25 Jahre Kangoo sind auch 25 Zentimeter mehr Breite. Aber wer ist in dieser Zeit schon schlanker geworden? Und hier haben füllige Hüften Sinn, sollen doch Lieferwagen inzwischen Europaletten quer schlucken. Das klappt beim Kangoo Rapid recht gut. Die Erweiterung der Hecktüren auf 180 Grad wirkt etwas fummelig. Aber zwischen den Radkästen ist 1250 Millimeter Platz, das Heckportal misst einen Hauch mehr, passt also mit etwas Aufmerksamkeit. Der Staplerfahrer könnte mit langer Gabel sogar zwei Paletten hintereinander abstellen. Allzu hoch sollte die Ladungsträger indes nicht bepackt sein, denn Karosserie und Hecktor verjüngen sich nach oben.
Auch Langmaterial kommt unter. Den Trick der Verlängerung mit schwenkbarer Trennwand und Klappsitz hat der Kangoo der ersten Generation einst erfunden. Jetzt folgt „Open Sesame“: Renault zaubert beim Kango Rapid für einen Tausender Aufpreis auf der rechten Seite die B-Säule weg. Das heißt: Schiebetür und die extrem weit öffnende Beifahrertür aufreißen, Sitz mit drei Handgriffen versenken, Trenngitter etwas umständlich schwenken, schon öffnet sich eine scheunentorgroße Öffnung von fast 1,5 Metern. Für bis zu drei Meter lange Leitern, Rohre, Teppichrollen oder andere Fracht – solch einen Schlund gab’s noch nie. Ein Blick auf generelle Details: Außen ist die Schiebetürführung verdeckt, drinnen erhellt LED-Licht (Extra) die Szenerie. Vorsicht beim Parken in steilen Einfahrten, nur eine stramme Feder hält die Schiebetür. Und Obacht an der Tankstelle, denn beim Kastenwagen fehlt eine Sperre zwischen geöffneter Tankklappe und Schiebetür.
Je nach Variante dürfen Fracht und Besatzung des Kangoo Rapid zusammen entweder eine halbe oder fast eine Dreivierteltonne wiegen. Hier parkt gerade das Leichtgewicht. Der Bonsai-Laster lässt sich die Fracht äußerlich nicht anmerken: Leer steht die Karosserie hinten ein wenig hoch, beladen ebnet sie sich ein. Alle Ausführungen schleppen bei Bedarf einen Anhänger von 1,5 Tonnen.
Das Fahrwerk spielt mit: Ob leer oder beladen, der Renault federt dank gekonnt abgestimmter Verbundlenker-Hinterachse mit Schraubenfedern verblüffend geschmeidig. Auch muss der Fahrer schon sehr viel Unsinn anstellen, um den Renault in die Nähe eines ESP-Eingriffs zu bringen. Eine zielgenaue Lenkung gewährleistet präzise Fahrmanöver. Empfindlichen Mägen missfällt allenfalls das Stampfen der beladenen Fuhre auf Bodenwellen. Und bei sehr zackigen Spurwechseln mit hohen Geschwindigkeiten giert der Frachter mit kurzem Radstand um die Hochachse. Also bitte mehr Ruhe und Gelassenheit am Steuer, das steht dem komfortablen und nett hergerichteten Renault ohnehin besser.
Drinnen geht es im Kangoo Rapid im Stil der Zeit etwas dunkel zu. Die Materialien sind der Liga angemessen, mit hochwertiger Armaturentafel und schlichter Türverkleidung. Das Raumgefühl ist angenehm, Vorteil der breiten Karosserie und der weit vorgerückten Windschutzscheibe. Indes ist die Fahrerkabine zugunsten der großen Ladefläche etwas kurz geraten, Großgewachsene würden gerne ein, zwei Rasten weiter hinten parken. Der Sitz aber ist recht bequem und langstreckentauglich, indes nicht kuschelig ausgeformt. Nachteil ist mäßiger Seitenhalt, Vorteil das fixe Rein und Raus für Postler. Kurze Irritation auf dem Beifahrer-Klappsitz – mangels B-Säule ist der Gurt links angeschlagen.
Nach schräg vorn behindern unten breit auslaufende A-Säulen ein wenig die Sicht. Aber der Blick nach hinten könnte kaum besser sein: Die großen Außenspiegel tragen Weitwinkelfelder, hinzu kommt das optionale Kamerasystem mit knackscharfem Monitorbild anstelle des Innenspiegels, eine Empfehlung. Dazu der frühzeitig warnende Totwinkelassistent und eine detaillierte Gefahrenanzeige im Monitor beim Rangieren – perfekt. Da erscheint der Einparkassistent fast überflüssig, der seine Arbeit mit wechselhaftem Ergebnis verrichtet. Segensreicher ist der Notbremsassistent, es gibt ihn allerdings nur für Vorwärtsfahrt. Trotz des großen Sichtfelds der Rückfahrkamera, ein Querverkehrswarner mit Notbremser wäre eine Versicherung fürs Rückwärts-Ausparken. Der Abstandswarner zeigt die Tendenz zum vorausfahrenden Fahrzeug farbig und sogar in Sekunden an – ein ebenso überraschender wie wirksamer Fingerzeig.
Die übersichtliche analoge Instrumentierung ist komplett, einschließlich Kühlwasser-Thermometer, die Bedienung markentypisch, ob Hebel oder Lenkradtasten. Schön, dass es noch Autos mit drei logischen Drehreglern und klaren Rasten für Heizung und Klimatisierung plus fix zugänglicher Umlufttaste gibt. Ebenso durchdacht sind die Ablagen, einschließlich Schublade rechts für Papierkram oder Klapprechner im Format DIN A4. Trotz der offenen Verbindung mit Gitterwand auf der Beifahrerseite fährt der Kangoo Rapid rücksichtsvoll leise und gepflegt. Der Diesel schnurrt laufruhig vor sich hin, erst bei höherem Autobahntempo steigt die Geräuschkulisse in erträglichem Maß, es liegt an Geräuschen aus Richtung Frachtabteil.
Hier ackert der Diesel mittlerer Spannkraft, ein kompakter 1,5-Liter mit 70 kW (95 PS). Er schwächelt ein wenig im unteren Drehzahlbereich, beißt erst im Bereich des maximalen Drehmoments kräftig zu. Danach jubelt die Maschine fröhlich und doch recht kultiviert weiter hinauf bis in Höhen von 5000 Touren, dann längst im roten Drehzahlbereich. Diese alpinen Regionen sind im Alltag überflüssig, hier helfen Drehzahlen bis 3000 Touren dem Kangoo Rapid über die Berge. Dann stimmen auch beladen die Anschlüsse der sechs Gänge. Sonst tun sich angesichts einer recht langen Gesamtübersetzung trotz geschickter Stufung mitunter Löcher auf, grummelt der Diesel etwas ungnädig. In Konsequenz greift der Fahrer häufiger zum Schalthebel, angesichts der leichtgängigen und passabel präzisen Schaltung ein geringes Handicap.
Im Ergebnis ist der Kangoo Rapid recht sparsam unterwegs. Voll ausgeladen schnitt er mit 6,1 Liter/100 km auf der Redaktions-Hausstrecke günstig ab. Die Extremwerte bewegten sich zwischen 5,3 Litern auf der Kurzstrecke und 9,8 Litern im gestreckten Galopp. Mit weniger Ballast an Bord und gelassen gefahren, begnügt sich der Renault mit Werten zwischen 5,5 und gut sechs Litern. Alles real ermittelte Werte, denn der Bordcomputer des Testwagens kalkulierte übertrieben optimistisch. Zusammen mit dem großen 54-Liter-Tank resultiert daraus eine üppige Reichweite. Der Kangoo-Fahrer tankt nicht, wenn er muss, sondern wenn er will. Angesichts aktueller Spritpreise ein klares Kostenplus. Die Alternative E-Antrieb Kangoo Rapid E-Tech verlangt nach mehr Planung und Geduld.
Beim Aussteigen fällt die Tür etwas scheppernd ins Schloss. Merke: Trotz seines eleganten Auftritts – der neue Kangoo Rapid bleibt eben auch in dritter Generation im Grunde seines Herzens ein Nutzfahrzeug. Und das ist gut so.
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Technische Daten: Renault Kangoo Rapid dCi 95
Abmessungen (L/B/H): 4.486/1.919/1.864 mm
Radstand: 2.716 mm
Wendekreis: 11.750 m
Laderaum (L/B/H): 1.806-3.053/1.570/1.215 mm
Breite zw. Radkästen: 1.248 mm
Ladekapazität: 3,3-3,9 m³
Leergewicht Testwagen: 1.480 kg
Nutzlast: 547 kg
Zul. Gesamtgewicht 2.027 kg
Anhängelast bei 12 % Steigung 1.500 kg
Zul. Zuggesamtgewicht: 3.527 kg
Motor: Turbodiesel
Hubraum: 1.461 cm³
Leistung: 70 kW/95 PS
Drehmoment: 260 Nm
Getriebe: Sechsgang-Schaltgetriebe
Antrieb: auf die Vorderräder
Beschleunigung: 0 – 50/100 km/h 5,0/14,3 s
Elastizität:
60 – 80 km/h (IV/V) 4,1/6,5 s
60 – 100 km/h (IV/V) 8,6/12,1
80 – 120 km/h (VI) 15,9
Höchstgeschwindigkeit: 163 km/h
Innengeräusche
Stand/50/100 km/h 44/61/67 dB(A)
Höchstgeschwindigkeit 72 dB(A)
Kraftstoffverbrauch:
Normverbrauch WLTP: 4,4-5,8 L/100 km
CO2-Emissionen: 136-137 g/km
Teststrecke beladen: 6,1 L/100 km
Testverbrauch min./max.: 5,3-9,8 L/100 km
Testverbrauch Adblue: 0,13 l/100 km
Preis exkl. Mehrwertsteuer (2021):
Renault Kangoo Rapid dCi 95 Edition One 18 950* Euro (Variante Extra 20 450 Euro, Open Sesame je + 1000 Euro)
Randolf Unruh
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