Experten-Test: VW Caddy Cargo
Bauprotec BAM 20 ist eine Zement-Bodenausgleichsmasse für den Innenbereich. Muss man nicht unbedingt wissen, wichtiger ist heute das Gewicht von 25 Kilo pro Sack. Drei Lagen davon auf einer Europalette, prompt geht der Caddy Cargo in die Knie, als der Leonberger Baustoffhändler Thomas Greß mit dem Stapler die Palette absetzt, doch der VW knickt nicht ein. Weiter vorn per Hand noch zwei Gebinde Zementestrich à 40 Kilo hineingewuchtet – passt. Greß ist Chef einer wahren Fundgrube, auch was seinen Fuhrpark angeht. Er hält es eher mit deutlich größeren und erheblich älteren Semestern, vorzugsweise reif für ein H-Kennzeichen. Mindestens. Trotzdem mustert er den Caddy Cargo interessiert: „So ein Busle überlege ich mir auch.“ Und grinst: „Am besten ohne jede Elektronik.“ Pech gehabt, mehr Elektronik als der Caddy Cargo – auf gut schwäbisch „Busle“ – gibt’s in dieser Liga gerade nicht. Vom Namen her wie seit vier Jahrzehnten gewohnt der Golf-Junge, ist er nun technisch ein Golf-Junges, denn er nutzt die Plattform des aktuellen VW.
Optisch tritt der Caddy Cargo eigenwillig auf. Das klar gegliederte Heck mit schmucken schlanken Rückleuchten oben ist die Schokoladenseite. Unten mündet der Auspuff verdeckt. Wenn VW schon keinen Caddy als Stromer baut, so versteckt man die Verbrenner-Technik. Die Wände sind nicht mehr babypopoglatt, die Führung der Schiebetür liegt rustikal offen. Das hat man schon eleganter gesehen – die Kosten. Der Bug ähnelt einer Schichttorte: unten ein engmaschiger Grill, mit etwas Abstand drüber Haifischzähne, dann nach einem weißen Streifen die Ebene der Scheinwerfer mit schicker dunkler Blende als Verbindung – recht viel Mummenschanz angesichts der traditionell klaren VW-Linien.
Egal, ein Lieferwagen muss vor allem gut und günstig sein. Gut, das heißt hier zunächst mal eine zweidrittel Tonne Nutzlast, dazu als Reserve reichlich Anhängelast und ein hohes Gesamtzuggewicht. Die Schiebetür mit optionaler Zuziehhilfe gleitet leicht und ohrenschonend ins Schloss. Durchs Heckportal zirkelt ein Könner auf dem Staplersitz wie Thomas Greß mit gutem Augenmaß zwei Paletten quer hinein, links und rechts bleiben knapp zwei Zentimeter, also eine Verkleidung besser sparen. Die Ladelänge ist trotz oben ausgebuchteter Trennwand so bemessen, dass auf beide Paletten ordentlich was draufpasst. Langmaterial begrenzt VW indes auf rund einsachtzig, da eine optionale Verlängerung mit Katzenklappe bis ins Cockpit nicht vorgesehen ist. Vom Vorgänger übernommen hat der Caddy Cargo die fummeligen Aufsteller der Hecktüren. Beim Testwagen verdrückten sich die Bügel an den Türen nach dem ersten Entriegeln und erneutem Schließen auf Nimmerwiedersehen in die Türblätter – dabei ist die Verarbeitung des Caddy Cargo generell tadellos.
Das wird im gut gearbeiteten und weitgehend komplett ausgestatteten Cockpit deutlich, nachdem die Fahrertür etwas blechern ins Schloss gefallen ist. Es geht hier etwas düster zu, aber die fahrerseitig elegant gewölbte Armaturentafel ist ein Schmuckstück: Sie schafft Raum, sowohl für Langbeiner als auch für all die Siebensachen, die sich ansammeln. Zeitung, DIN-A4-Klemmbrett – ab in die Ablage oben links auf dem Cockpit. Rechts wartet das VW-typische schlanke offene Zollstockfach. Dazu Handschuhkasten, große Türablagen, die geräumige Mittelkonsole für viel Kleinkram plus Steckdosen – die E-Handbremse hat Platz gemacht, vorbildlich. Die Dachgalerie dagegen könnte sich VW sparen: Sie schränkt den Kopfraum ein und der Fahrer langt kaum ran. Nach hinten begrenzt eine Trennwand aus Kunststoff das Fahrerhaus, nicht so fies-kalt wie Blech und obendrein leiser. Oben ragen außen und mittig vier Kleiderhaken heraus, VW hat an alles gedacht. Auf Wunsch lädt hier außerdem eine 230-Volt-Steckdose den Laptop. Der parkt in der Pause auf der Lehne des umgeklappten Beifahrersitzes, ausgearbeitet als Tisch mit Ablagen und Spanngummi.
Dann gibt’s noch einfache aber übersichtliche Instrumente. Und eine Bedienung, die traditionelle VW-Vorzüge konterkariert. Von wegen einsteigen und losfahren. Da wäre linkerhand ein fummeliges Tastenfeld fürs Licht. Weitere Alltäglichkeiten werden rund um das Display in der Mittelkonsole eingestellt. Etwa Temperatur und Lautstärke über umständliche Tipptasten. Wer aufs Signet für die Sitzheizung drückt, bekommt kein warmes Gesäß, sondern landet zunächst auf der nächsten Oberfläche. Wer das Gebläse regeln will, die Umluftklappe schließen oder die Klimaanlage anwerfen, muss erst eine Taste drücken um zur passenden Oberfläche des Bildschirms zu gelangen. Das alles lenkt ab und verlangt Hinschauen. Diese komplizierte Tasterei kann kein Autofahrer erfunden haben, hier war ein Computer-Nerd zugange. Einzig die Bedienung der Assistenzsysteme überzeugt, da ohne große Worte und mit Bild selbsterklärend.
Am Steuer verliert die Umstandskrämerei an Gewicht, denn hier gilt endlich wieder: ein VW ist ein VW ist ein VW: Die sanft gepolsterten Sitze vermitteln guten Halt und bieten Langstreckenkomfort. Die Lenkung mit direkter Übersetzung agiert präzise, bei hohem Tempo fast schon etwas spitz. Das Fahrwerk arbeitet narrensicher, der Caddy Cargo entpuppt sich als wahrer Kurvenkratzer. Nach vier Jahrzehnten blattgefederter starrer Hinterachse hat VW dem Caddy Cargo eine hochwertigere Konstruktion spendiert. Zwar starr, aber erstmals schraubengefedert, an vier Längslenker geführt, ein Panhardstab stabilisiert. Unbeladen benimmt sich der Caddy auf gut gebügelten oder welligen Fahrbahnen sehr zivil – zeigt nur bei kurzen Unebenheiten Härte. Fracht steckt er prima weg, obwohl die Federn unter Beladung tief eintauchen. Nun filtert der Caddy Cargo Stöße aller Art gelassen, liegt selbst bei forcierter Fahrweise stabil, kennt kaum lästige Seitenneigung.
Hat VW den Caddy Cargo zum leitenden Angestellten befördert? Jedenfalls wuseln hier auf Wunsch jede Menge Assistenten herum. Perfekt und vorausschauend warnt der Spurwechselassistent, unübersehbar sind die großen gelben Warnleuchten im Gehäuse der Außenspiegel. Vorbildliche Arbeit, eine Empfehlung für die weitere Karriere.
Dienst nach Vorschrift erledigt die automatische Distanzregelung. Meist angemessen sanft reagierend, bremst sie den Caddy rüde bis zum Sicherheitsabstand ein, wenn ein Vordermann plötzlich einschert. Ein Fahrer aus Fleisch und Blut würde mit Augenmaß reagieren. Nötig nur bei hohem Langstreckenanteil, dann entspannend.
Die Umfeldbeobachtung warnt vor plötzlichen Hindernissen und macht dabei einen guten Job. Auf kurvigen Landstraßen kann es bei Gegenverkehr in seltenen Fällen Fehlalarm geben. Die Verkehrszeichenerkennung ist ebenfalls hilfreich, Fehlanzeigen liegen an unglücklich aufgestellten Schildern. Die Eco-Fahrempfehlung kennt vorausliegende Kreisverkehre und Stoppstellen, mahnt frühzeitig zu Fuß vom Gas. Nun ja. Die Reifenkontrollanzeige führte beim Testwagen ein Eigenleben. Mehrfach warnte sie trotz korrektem Druck bei warmen Reifen vor Luftverlust. Und gab sich nach Tipp auf die Kontrolltaste wieder mit den Werten zufrieden.
Als Nervensäge entpuppte sich auf Landstraßen der hyperaktive und nicht justierbare Spurhalteassistent. Fortlaufende Eingriffe bei Kurvenfahrt, Gegenbewegungen, wenn der Fahrer auf schmalen Straßen Verkehr ausweichen muss, dazu mehrfach unwillkürliche Eingriffe ohne ersichtlichen Grund. Laut Betriebsanleitung ist der Assi für Autobahnen und gut ausgebaute Landstraßen geeignet. Stimmt, anderswo mit seinem Ungestüm ein Ärgernis. Die Sprachsteuerung verhindert gefährliche Navi-Tipperei, reagiert aber mitunter etwas schwerhörig.
Fazit: Alles wie im richtigen Leben, der Nutzen von Assistenten ist hoch – aber nicht immer und überall.
Unter der Motorhaube: ein dezent knurrender TDI
Der Caddy basiert auf einer Golf-Plattform, daher ist ein lupenreiner E-Antrieb kaum möglich. Als steckt unter seiner Motorhaube ein guter Bekannter: VW hat sich beim TDI generell auf zwei Liter Hubraum festgelegt. Das spart Kosten und deckt ein sehr breites Leistungsspektrum ab. Hier arbeitet die mittlere Ausführung mit 75 kW (102 PS). Diese Zahlen sind vom Vormodell bekannt, beim Drehmoment aber hat der Diesel um gut zehn Prozent auf 280 Nm zugelegt. Ein Blick auf die dazugehörigen Drehzahlen lohnt: höchste Leistung bei 2750 bis 4250 Umdrehungen, maximale Zugkraft von 1500 bis 2500 Touren. Also runter mit der Drehzahl, der Caddy lässt sich in den unteren Gängen gelassen und doch kraftvoll ab gut 1000 Umdrehungen bewegen, spricht munter aufs Gas an. Zwar dreht die Maschine auf Befehl bis fast 5000 Touren hinauf, doch derlei Drehorgien sind angesichts der guten Kraftentfaltung auf halber Höhe überflüssig.
Im Unterschied zum Vorgänger portioniert jetzt ein Sechsganggetriebe die Kraft. Es ist weit gespreizt und geschickt gestuft, das bedeutet knackiges Anfahren auch beladen am Berg sowie rückwärts, gleichzeitig entspannte Langstrecken. Anzukreiden ist dem VW allenfalls eine gewisse Mattigkeit in der höchsten Stufe an Steigungen, doch wer will sich angesichts von nur etwa 1700 Umdrehungen bei Tempo 100 darüber beschweren? Zumal der folgende Gangwechsel dank kurzer und präziser Wege mehr Vergnügen als Arbeit bedeutet.
Mehr Kraft, aber nicht mehr Verbrauch
Im Vergleich zum Vorgänger liegen die Fahrleistungen des VW dank höherer Durchzugskraft und sechs Gängen eine ganze Klasse besser. Beim Verbrauch gibt er sich trotzdem keine Blöße: 6,2 Liter/100 km mit voller Beladung auf der anspruchsvollen Hausstrecke sind ein guter Wert. Zumal der Caddy dabei nicht nur deftige Steigungen erklimmen, sondern auch auf einer Autobahn-Teilstrecke im gestreckten Galopp dahinfliegen muss. Mit weniger Stress ist eine Fünf vor dem Komma kein Problem. Ein Lob gibt’s für die Geräuschkulisse, da es für einen Kastenwagen an Bord erstaunlich leise zugeht. Damit einher geht die angenehme Laufkultur des dezent knurrenden TDI. Er steckt selbst Niedrigdrehzahlen ohne Murren weg. Das bedeutet unterwegs zusammen mit Lenkung, Fahrwerk und Sitzen eine sehr gepflegte Erscheinung.
Nach Ausschalten der Zündung verabschiedet sich der Caddy Cargo mit einem höflichen Gruß: „Auf Wiedersehen“. Aber vermutlich nicht beim Baustoffhändler Greß – die Elektronik, wir ahnen es.
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Technische Daten: VW Caddy Cargo L1
Abmessungen (L/B/H): 4.500/1.855/1.856 mm
Radstand: 2.755 mm
Wendekreis: 11.400 mm
Laderaum (L/B/H): 1.797/1.614/1.256 mm
Breite zw. Radkästen: 1.239 mm
Ladekapazität: 3,1 m³
Leergewicht Testwagen: 1.540 kg
Nutzlast: 660 kg
Zul. Gesamtgewicht 2.220 kg
Anhängelast bei 12 % Steigung: 1.500 kg
Zul. Zuggesamtgewicht 3.720 kg
Motor: Turbodiesel
Hubraum: 1968 cm³
Leistung: 75 kW/102 PS
Drehmoment: 280 Nm
Getriebe: Sechsgang-Schaltgetriebe
Antrieb: auf die Vorderräder,
Beschleunigung: 0 – 50/100 km/h 4,3/12,2 s
Elastizität:
60 – 80 km/h (IV/V) 3,7/5,2 s
60 – 100 km/h (IV/V) 7,6/10,4
80 – 120 km/h (VI) 18,9
Höchstgeschwindigkeit: 173 km/h
Innengeräusche:
Stand/50/100 km/h 45/57/64 dB(A)
Höchstgeschwindigkeit 72 dB(A)
Kraftstoffverbrauch:
Normverbrauch WLTP: 4,8-5,5 L/100 km
CO2-Emissionen: 127-145 g/km
Teststrecke beladen: 6,2 L/100 km
Testverbrauch beladen min./max.:4,9-10,0 L/100 km
Testverbrauch Adblue: 0,14 l/100 km
Preis (2021 exkl. Mehrwertsteuer):
VW Caddy Cargo L1, 75 kW (102 PS) 20 890 Euro







