Experten-Probefahrt: Ford Ranger Raptor, die Fahrmaschine
Bereits die extravagante Verpackung hebt den Ford Ranger Raptor deutlich von seinen Artgenossen ab. Da wäre der riesige selbstbewusste Markenschriftzug im Kühlergrill, eingerahmt von LED-Matrix-Scheinwerfern. Oder die Radlaufverbreiterungen. Da wären unkaputtbare rustikale Trittleisten aus Gussaluminium, sie schützen gleichzeitig die empfindlichen Schweller. Hinten schließt der Ranger Raptor mit LED-Rückleuchten und der serienmäßigen Anhängerkupplung ab. Klarer Fall: Hier steht nicht irgendein Pick-up. Auch nicht irgendein Ranger. Hier zeigt ein Ranger Raptor seine Muskeln.
Und Muskeln hat er: Souveränen Vortrieb gewährleistet ein V6-Benziner mit drei Liter Hubraum, einer Leistung von 212 kW (288 PS) und einem deftigen maximalen Drehmoment von 491 Nm. Da erscheint das Tankvolumen von 80 Litern schon etwas knapp, denn beim WLTP-Verbrauch von 13,8 Litern im Schnitt wird es in Baustelle und Gelände nicht bleiben. Keine Bange, es gibt alternativ ebenfalls einen Diesel. Mit zwei Litern und 154 kW (210 PS) wirkt er indes eher halbstark. Egal welche Maschine, durchweg portioniert eine rasant und weich schaltende Wandlerautomatik mit zehn Gängen die reichliche Leistung. Und falls dies tatsächlich nicht genügt, verdreifacht die zuschaltbare Untersetzung im zweistufigen Verteilergetriebe die Kraft im Gelände.
So einer muss raus in die freie Wildbahn. Muss zeigen, was er kann. Also los: über uns ein fahler Himmel, unter uns reichlich Schotter, vor uns eine Abbruchkante, dahinter das Nichts. Dieses Nichts besteht aus einem extremen Gefälle mit etwa 90 Prozent. Zum Vergleich: Die angeblich steilste Straße der Welt in Neuseeland kommt gerade mal auf 37 Prozent. Fußgänger haben in dieser düsteren Steinbruch-Landschaft ohne Hilfsmittel keine Chance, anders der Ranger Raptor. Frontkamera aktivieren, schon ist alles im Blick. Dann zum Allradantrieb mit dem Drehregler in der Mittelkonsole die Untersetzung wählen und den Bergabfahr-Assistenten auf die kleinste Geschwindigkeit von 2 km/h einstellen. Das Lenkrad geradestellen, alles weitere dem Ford überlassen. Und bloß nicht ängstlich bremsen oder gar die Räder einschlagen, ein Purzelbaum wäre die Folge. Der Ranger Raptor erledigt den Job gelassen, tastet sich verblüffend unspektakulär bergab, bremst radindividuell mal hier und mal dort. Unten angelangt schnauft der Fahrer tief durch. Beim Ranger Raptor knistert nicht einmal das Kühlwasser.
Die Wüstenei mit dem düsteren Gestein hält weitere Aufgaben bereit. Da wäre eine üble Buckelpiste. Hier hebt der Ranger Raptor auch mal zwei von vier Beinen, bis zu 1,2 Meter über Grund. Also zur Hinterachssperre noch die Sperre vorn zuschalten. Dann mag der Ranger Raptor zwar keine Kurven, fährt aber unaufhaltsam geradeaus. Es folgt eine Schrägfahrt mit annähernd 30 Grad Seitenneigung. Wär’s kein Steinbruch, man könnte aus dem Seitenfenster langen und Blumen pflücken. Straßen benötigt ein Ranger Raptor nicht, auch angesichts einer Wattiefe von 850 Millimetern selten eine Brücke. Die Grenze bildet sein Fahrer, verbunden mit der Frage: Fahre ich das als Mensch überhaupt noch?
Seine faszinierenden Offroad-Eigenschaften erreicht der Ranger Raptor, weil er als echter Offroader gegenüber dem handelsüblichen Ford Ranger nochmals eine ordentliche Schaufel draufpackt. Mit seinem permanenten Allradantrieb und den Sperren vorne wie hinten. Mit einem verstärkten Rahmen sowie Aluminiumkomponenten fürs Fahrwerk. Mit Fox-Stoßdämpfern und großen Federwegen. Die starre Hinterachse haben die Entwickler mit einer Mehrlenker-Aufhängung, Wattgestänge und Schraubenfedern veredelt. Obendrein gibt es 17-Zoll-Leichtmetallräder mit Allterrainreifen im Format 285/70. Ein stählerner Unterfahrschutz verhindert Schürfwunden an den Weichteilen.
Wer nun meint, der markige Ford mime im Gegenzug zu seinen vorzüglichen Offroad-Eigenschaften auf gepflegten Straßen den harten Kerl, sieht sich angenehm enttäuscht. Im Vergleich zu vielen Transportern und so manchen Artgenossen bewegt er sich hier geradezu sanft. Und schnell ist er, rennt bei Bedarf Tempo 180, explodiert mit dem Benziner in knapp acht Sekunden aus dem Stand auf 100 Sachen.
Das alles erleben Fahrer und Beifahrer auf gut ausgeformten und vielfach elektrisch verstellbaren Sitzen. Die Bewegungsfreiheit ist üppig. Fondpassagiere müssen indes die Knie anwinkeln. Das Lederlenkrad zeigt eine markierte Mittelstellung. Die digitalen Armaturen und ihre Hintergrundfarbe wechseln je nach dem gewählten Fahrprogramm. Gleich sieben gibt’s für Straße und Offroad. Wählbar ist ebenfalls der Auspuffsound, von dezent bis krawallig. Beherrschendes Element der Mittelkonsole ist ein üppiges, hochkant angebrachtes Display mit einer Vielzahl von Anzeigen und Funktionen. Dazu gehören unter anderem Informationen für die Offroadsysteme. Eine Etage tiefer reihen sich klassische Bedienelemente für die Klimatisierung auf – danke dafür. Die Schalterleiste unter dem Dach wiederum erinnert an einen Jet. Hier lassen sich auf Wunsch Zusatzfunktionen wie Außenscheinwerfer aktivieren.
Ohnehin hat der Ranger Raptor bei aller Dynamik einen Sinn fürs Praktische. So nimmt die Pritsche eine Europalette sogar quer auf, sofern der Staplerfahrer sorgfältig zielt. Es gibt einen 400-Watt-Wechselrichter und in der Bordwand Steckdosen für elektrische Geräte. Eine 360-Grad-Umfeldbeleuchtung und eine 360-Grad-Kamera. Sie ist nicht nur im Gelände nützlich, sondern auch im Straßenverkehr, wo ein 5,36 Meter langer Pick-up mitunter wie ein Elefant im Porzellanladen wirkt. Damit alles heil bleibt, fährt ebenfalls ein ganzes Rudel Assistenten mit.
Indes sind auch die Fähigkeiten eines Ranger Raptor begrenzt. Angesichts des deftigen Leergewichts von fast 2,5 Tonnen verbleibt eine überschaubare Nutzlast von maximal 650 Kilogramm. Und auch die Anhängelast von 2,5 Tonnen fällt für ein Fahrzeug dieses Genres eher knapp aus. Eingeschränkt ist angesichts des Nettopreises von 67 450 Euro im Jahr 2022 – der Diesel ist 5000 Euro günstiger – auch die Käuferschar. Die aber erhält mit dem Ford eine faszinierende Fahrmaschine.
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